1. Samuel 8 + 9 (13. – 15. August)

Doch auch Samuel tappt in die Falle seines Lehrmeisters Eli. Als er alt wird, bestimmt er „ganz natürlich“ seine Söhne zu seinen Nachfolgern. An die Stelle der Gewohnheit „göttliche Weihe“ tritt also die Gewohnheit „Erbfolge“. 

Es zeigt sich, die Söhne Samuels taugen nicht mehr, als eine Generation zuvor die Söhne Elis. Bald hat das Volk, das sich noch gut an die letzte Dynastie erinnert, das Geschacher und die Erpressungen satt und fordert von Samuel einen König für das Land. Als der sich vor Gott über diese Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit ihm gegenüber beschwert, weist der ihn zurück: Er, Samuel ist nur Richter, wenn das Volk einen König fordert, dann setzen sie Gott als ihren König ab!

Ein kleiner Seitenhieb auf die heutige Kirchenhierarchie: Der Papst ist nicht der Kopf der Kirche (in Vertretung unseres Herrn), er ist nur der Hals, erfüllt als solcher – bei richtigem Amtsverständnis – aber auch eine unverzichtbare Rolle, sonst hätte sie Jesus nicht mit Petrus eingeführt. Es wird aber auch deutlich, warum Gott danach strebte, seinen Geist im neuen Bund deutlich breiter zu streuen als beim Beispiel gebenden Volk Israel.

Gott lässt sich auf den Deal ein, aber nicht ohne Samuel den Auftrag zu geben, dem Volk zu verkünden, welche Kosten sie bei einem weltlichen König erwarten werden. Die Reaktion des Volkes lässt einen staunen: Das ist ihnen alles egal – sie wollen sich von den Heidenvölkern nicht mehr unterscheiden.

Wir erinnern uns: Gott hat sein Volk von den Heidenvölkern abgesondert. Nur darum kam ein solcher Bund, in dem Gott als (quasi ehrenamtlicher) Dienstleister auftritt, überhaupt zustande. Indem das Volk nun also verlangt, wieder wie die anderen zu sein, kündigt es Gott den Vertrag und schlägt damit die gesamte Geschichte seit seiner Befreiung aus Ägypten in den Wind. Eine alte Weisheit sagt: Ein Volk, das seine Geschichte verleugnet, hat keine Zukunft.

Über den Umweg entlaufener Eselinnen lernt Samuel Saul kennen, der ihm von Gott als der zukünftige König des Volkes angekündigt wurde. Saul kommt aus dem Hause Benjamin, dem der Stammvater Jakob/Israel prophezeite „Benjamin ist ein reißender Wolf; am Morgen verzehrt er Raub, und bis zum Abend verteilt er Beute.“ (1. Mose 49,27), dies lässt einiges von ihm erwarten, anhaltender Frieden wird es aber eher nicht sein. Doch mit diesen Eigenschaften und den erwähnten äußerlichen Attributen wird er zumindest die nötige Durchsetzungsfähigkeit mitbringen, die von einem König erwartet wird.

Samuel lädt Saul zum Schlachtopfer ein und lässt ihm die Keule servieren. Üblicherweise waren Keule und Brust dem Hohepriester vorbehalten, der vor Ort die weltliche und himmlische Macht repräsentierte. Dass Saul nur die Keule bekommt zeigt, dass an dieser Stelle der Gottesstaat Israel durch Gott in einen normalen, weltlichen, säkularen Staat umgewandelt wurde – eine Trennung, für die die übrige Welt noch einige Jahrtausende brauchte (und die das Volk Israel ja zu diesem Zeitpunkt auch nicht bewusst mitbekommen hat). Gott akzeptiert stillschweigend die Kündigung seines Volkes! Erstaunlich, was so ein Essen alles aussagen kann. Noch erstaunlicher: Mit einem zu Zeiten Moses eingeführten Zeremonialgesetz, dem des Schlachtopfers, hatte Gott bereits diese spätere Trennung in sein System integriert. 

Aber wichtig zu erkennen: Gott hat Kirche und Staat getrennt, nicht der Mensch, denn wir dürfen sicher sein, dass der allmächtige Gott von der Entwicklung und dem Wunsch seines Volkes nicht überrascht wurde! Darum können Menschen, die sich auf den Gott Abrahams berufen, auch keine Gottesstaaten mehr ausrufen oder errichten, ohne sich selbst ins Unrecht zu setzen.

Betrachtet man das Volk Israel als Bild für das heutige Volk Gottes, so finden wir – unter Berücksichtigung, dass Christus jetzt das Amt des Hohepriesters und höchsten Richters innehat – in dieser Entscheidung Gottes gar eine Blaupause für jegliche Gemeindeorganisation und -führung.

Da gibt es zunächst die in diese Welt hineinwirkende Heilige Familie, also Gott und seine in den Menschen wiedergeborenen Kinder. Diese haben nur eine Führung, das ist Christus; vom Täufling bis zum Papst sind alle Familienmitglieder gleichrangige Brüder und Schwestern: „Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn einer ist euer Meister, der Christus; ihr aber seid alle Brüder.“ (Mt 23,9). Vor diesem Hintergrund ist unmittelbar einzusehen, welche Probleme der ganze Prunk im Vatikan unserem derzeitigem Papst Franziskus bereiten muss. Er sieht, versteht und fühlt sich als Teil des Körpers der Kirche Christi, nicht als deren Haupt. Doch nur das Haupt kann die Krone tragen. 

Daneben gibt es die weltliche Organisation „Kirche“. Diese ist in einer Welt wie der unsrigen unverzichtbar, der Mensch braucht äußere Rahmen und Ordnungen. Wie dieser Rahmen auszusehen hat, orientiert sich aber am tatsächlichen Bedarf. Zur Zeit Samuels waren alle weltlichen Organisationen Königreiche, im Grunde von der Nation bis hinunter in die Großfamilie (der Patriarch war ja nichts anderes als der König seiner Sippe). Insofern konnte es da keine zwei Meinungen geben: Ein weltliches Israel braucht einen weltlichen König. Das Volk hatte ja auch einen solchen gefordert und nicht etwa ein Parlament und einen Ministerpräsidenten. Klar, Gott hat sich eingemischt und Samuel einen König vorgeschlagen, weil das Volk von Samuel einen König forderte, weil Samuel Gott um Rat gefragt hat. Die Bibel beschreibt Saul als gutaussehend, groß und kräftig (körperlich wie finanziell), eine Person also, die aufgrund persönlicher Eigenschaften als Anführer eines Landes geeignet ist. Leitungsfunktion in der weltlichen Organisation Kirche sollen nach Gottes Ratschluss also Menschen haben, die aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften zur Leitung geeignet sind. Die Weihe, die Saul im nächsten Kapitel zu seinem Amt erhalten wird, ist also äußeres Zeichen, das der Berufung folgt, nicht deren Voraussetzung. Da wir heute nicht mehr in Königreichen denken, wäre statt Weihe vielleicht öffentliche Berufung oder Ernennung der bessere Ausdruck.

Wir erkennen dieses Muster wieder in den allerersten christlichen Gemeinden: Paulus, selbst ohne die dreijährige Ausbildung der zwölf anderen Apostel durch Jesus selbst, direkt aus dem Laienstand zum geistlichen Verkünder und weltlichen Chef-Organisator bestimmt, berief Menschen zu Leitern der Gemeinde, die die persönlichen Voraussetzungen erfüllten: Glaube, Führungsqualitäten und geeignete Räumlichkeiten – christlicher Glaube ist in dieser Welt pragmatisch, wäre er es nicht, so wäre er nach ein, spätestens zwei Generationen wieder von diesem Planeten verschwunden. Keiner der Gemeindeleiter der ersten ca. 300 Jahre brachte eine klerikale Ausbildung mit, was damals – mangels Angebot auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt – ja auch gar nicht möglich gewesen wäre. Die gesamte christliche Gemeinde ist also von ihrem Konzept her in der Welt als von Laien geführte Organisation begründet und gegründet.

In Saul und – neutestamentlich – in Paulus und den ersten Gemeindeleitern sehen wir, wie diese Leiter in ihre Ämter kommen: Sie werden von Gott berufen, d.h., sie selbst und die anderen Gemeindemitglieder erkennen den Auftrag durch den Heiligen Geist, der heute gleichermaßen in allen Christen wirkt – also eine Frage von Gebet und Innehalten, keine Frage der Weihe. Ob die Struktur in der weltlichen Organisation und deren Untereinheiten dann streng hierarchisch oder eher demokratisch aufgebaut ist, das ist durch diese Blaupause nicht vorgegeben. Gott hat im alten Israel pragmatisch diejenige Struktur gewählt, die sich das Volk als einzige vorstellen konnte und auch gefordert hat. Wir sollten die Struktur der Kirche daher nicht als in Stein gemeißelt betrachten. Gott hat uns niemals den Auftrag gegeben, den Himmel hier auf Erden nachzubilden.

Zum Ende dieses sehr langen Gedankengangs nochmal zur Erinnerung: Die Heilige Familie vor Gott ist überhaupt nicht gegründet, sondern von Gott geschaffen – hier stellt sich die Frage der Führung überhaupt nicht.

Zurück zu Kapitel 9:

Am nächsten Morgen machen sich Samuel und Saul gemeinsam auf den Weg. Am Stadtrand bleibt Samuel aber stehen, fordert Saul auf, seinen Burschen wegzuschicken und hier mit ihm still zu verweilen, bis er von Gott neue Anweisungen bekommt.

Das nennt man wohl einen Cliffhanger…

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