Prediger 1-12 (17. - 30. Oktober)

Wie ich schon in den Vorbemerkungen zu Prediger sagte, ich bin nicht sicher ob Prediger jemals als eigenständiges Buch in der Bibel gedacht war. Die Gewohnheit der Bibelredaktion die Bücher des Buches nach der griechischen Tradition in Kapitel aufzuteilen, erscheint mir hier aber völlig fehl am Platze. Daher bespreche ich Prediger in einem Rutsch.

Der Prediger schaut auf ein gelebtes Leben zurück, begutachtet und bewertet alle seine Beobachtungen und die daraus gewonnen Erkenntnisse – man nennt dies Weisheit. Die Erkenntnis Gottes lässt er aber außenvor. Salomo benutzt hier das Wort „Prediger“ also nicht im religiösen Sinne. Er verkündet der Öffentlichkeit nicht das Wort Gottes, sondern lediglich seine Erkenntnisse über den Lauf der Welt und des Lebens.

Und diese Erkenntnisse sind niederschmetternd. Die Welt bewegt sich in Kreisen; selbst Dinge die uns aufgrund unseres im Vergleich zum Alter der Welt sehr kurzen Lebens neu erscheinen, sind nur Wiederholungen. Alles wiederholt sich.

Das Leben des Menschen unterscheidet sich im Grunde nicht vom Leben eines Tieres; er kommt mit nichts zur Welt und verlässt diese auch wieder so. All sein Mühen und Werken zwischen diesen beiden Zeitpunkten geht mit seinem Tod verloren, wird vergessen, egal ob er ein armer Schlucker oder ein König war. Er hat auch keinen Einfluss darauf, wie die Menschen, die nach ihm leben mit seiner Hinterlassenschaft umgehen werden. Der Mensch hat zwar ein Gefühl für die Ewigkeit (was ihn dann möglicherweise doch vom Tier unterscheidet), aber er kann sie nicht fassen. Das zeigt dem Prediger, dass es besser sei nie geboren zu werden.

Weisheit, Wohlstand, Jugend, ein gutes Leben – all das befriedige den Menschen nur für kurze Zeit. Nichts, was die Welt den Lebenden bietet mache sie dauerhaft satt oder glücklich. Er habe alles dies ausprobiert und auch alles gehabt.

Die Welt sei ungerecht, so der Prediger, und verteile ihre Gunst nach dem Zufallsprinzip. Daher gibt er dem Leser den Rat: Genieße dein Leben. Nutze, was es dir bietet solange du es hast. Vermeide aber die Extreme. Alles hat seine Zeit und alles ist vergänglich. In Kapitel 12 bekommt der Prediger dann die Kurve und ruft den Leser auf, sich bereits früh in seinem Leben unter das Gesetz Gottes zu unterwerfen, weil das ganze Leben sonst nichtig sei – auf mich wirkt dieses Kapitel aber aufgesetzt. Hier hat der Autor seine Pflicht erfüllt und seinen Gott geehrt; mehr steht da nicht.

Eine Text gewordene Altersdepression von einer Redaktion in 12 mundgerechte Portionen aufgeteilt. Was soll so ein Text in der Bibel? Was will Gott uns mitteilen?

Die Hauptaussage lautet sicherlich: „Leute, ich kenne euch und ich verstehe euch!“ Jeder Mensch kommt im Laufe seines Lebens an einen Punkt, an dem er weit genug gegangen ist, um zurückblicken zu können und dann sieht er das, was Salomo hier beschreibt. Das ist die Welt, in der wir leben. Ohne Gott sehen wir nur die Oberfläche und wenn man sich nicht grade mindestens 40.000 km im Orbit befindet und nur dieses blau-grüne Juwel im kalten, schwarzen All sieht, dann ist diese Oberfläche übersät mit Pickel, Eiter, Narben, Elend, Krankheit und Tod. Da ist – vom Ende her betrachtet – nicht viel Schönes und das bisschen Schöne ist auch noch ungerecht verteilt.

Und hier komme ich an den Punkt, an dem ich eigentlich sicher bin: Wenn dieser Text von Salomo geschrieben wurde, dann war er nicht als eigenständiges Buch, sondern als Hinführung zum Hauptteil eines anderen Buches gedacht. Nach dieser Einführung käme dann der Punkt, an dem sich zur niederschmetternden Weisheit über das Leben die erhebende Erkenntnis von Gott gesellt. Mit der von Gott geschenkten Erkenntnis verlässt der Mensch nämlich die beschriebene Oberfläche auf der sich die Tiere und die übrige Schöpfung befinden; er blickt in die Wunder und das Geschenk seines himmlischen Vaters, er fühlt sich geborgen in der Ewigkeit des Himmels auch wenn er sie nicht erfassen, verstehen kann.

Das Buch Prediger wäre somit ein passendes Vorwort für die Evangelien, denn es offenbart das geschenkte Glück der Gnade in Jesus Christus aus dem Blickwinkel der davor Geborenen. Es wirft einen Blick heraus aus der Finsternis ins zur Zeit Salomos nur verheißene aber noch nicht sichtbare Licht. Das Buch Prediger zeigt die Notwendigkeit eines Messias nicht aus der Sicht Gottes, zum Zweck der Erlösung der geschundenen Schöpfung, sondern aus der Sicht des Menschen, der einen Sinn in dieser – ohne Erkenntnis Gottes – Sinnlosigkeit des Seins sucht. Vermutlich war Salomo mit dem Buch Prediger einfach ein paar hundert Jahre zu früh dran…

Jesus hat die Gedanken des Predigers aufgegriffen, zusammengefasst und um die Erkenntnis Gottes erweitert (er erwähnt den Prediger sogar namentlich):

„Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht und ernten nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer aber von euch kann durch sein Sorgen zu seiner Lebenslänge eine einzige Elle hinzusetzen? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen! Sie mühen sich nicht und spinnen nicht; ich sage euch aber, dass auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wird er das nicht viel mehr euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen?, oder: Was werden wir trinken?, oder: Womit werden wir uns kleiden? Denn nach allen diesen Dingen trachten die Heiden, aber euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles benötigt. Trachtet vielmehr zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch dies alles hinzugefügt werden! Darum sollt ihr euch nicht sorgen um den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Jedem Tag genügt seine eigene Plage.“ (Mt 26, 25-34)

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