Nur ein paar Verse lang ist die Prophezeiung, die Obadja gegen die Edomiter, die Nachkommen Esaus ausspricht. Im Vergleich zur langen Geschichte des Volkes Israel erscheint die dreijährige Dienstreise Jesu durch das Heilige Land aber auch sehr kurz; wir sollten daher nicht voreilig vom Umfang auf die Bedeutung der Prophezeiung auch auf die heutige Zeit schließen.
Obadja warnt die Edomiter, dass ihr Maß vor Gott nun voll ist und er sie vernichten wird. Da wir alle Sünder sind, lohnt sich der Blick auf die Vorwürfe, die Gott diesem kleinen Bergvolk macht. Ihre Schuld liegt darin, dass sie den Fall Israels, ihres Brudervolkes, denn Esau war ja der Bruder Jakobs/Israels, zum eigenen Vorteil genutzt haben. Gott erklärt ihnen nun, er habe die Strafe über sein Volk gebracht und er werde auch wieder Gnade über die Israeliten bringen. Für ihr unentschuldbares Verhalten dürften die Edomiter aber keine Gnade von ihm erwarten. Dies ist umso erstaunlicher, als wir gleich im nächsten Buch vom Propheten Jona (ja genau, der mit dem großen Fisch) erfahren, dass Gott gegen die Menschen Ninives, immerhin ein „gottloses Heidenvolk“, Gnade walten lassen wird.
Was ist also der Knackpunkt an der Schuld der Edomiter und was hat das mit uns zu tun?
Wie schon gesagt, waren die Edomiter ein Brudervolk Israels, d.h., sie haben denselben Gott, den Gott Abrahams und Isaaks, der gemeinsamen Vorfahren angebetet. Vermutlich war ihnen einfach durch Beobachtung auch schon deutlich geworden, dass Gott sehr auffällig an diesem Volk in der Nachbarschaft handelt, vermutlich hatten sie über die Jahrhunderte auch die eine oder andere Geschichte von Reisenden oder umherwandernden Propheten gehört und vielleicht war sogar Neid aufgekommen. Trotzdem gehörten die Edomiter zur Familie Gottes und hier lässt Gott offensichtlich keinen Hass und Streit zu.
Also macht Gott den Edomitern klar, dass sie versucht haben, in seinen Plan hineinzupfuschen und dass er sie in Konsequenz darauf aus seinem Plan löschen wird. Man könnte nun darüber philosophieren, ob hier Gott tatsächlich seinen Plan aufgrund der Situation geändert hat, was ja doch Fragen bezüglich seiner Allwissenheit und Unfehlbarkeit aufwürfe. Ich glaube, hier erfüllt sich ein Plan Gottes, einer jener Pläne, die wir nicht verstehen und einfach so hinnehmen müssen.
Viel interessanter ist doch die Frage, was er uns mit dieser kurzen Geschichte ins Bewusstsein rufen möchte, denn nichts bei Gott geschieht nur für den Moment, alles hat eine Bedeutung, alles liefert Erkenntnis dem, der dazu bereit und willens ist.
Wir wissen, dass es irgendwann ein Nordreich und ein Südreich gab, d.h., das ursprüngliche Volk Gottes hat sich aufgespalten. Schon davor gab es zweieinhalb Stämme, die sich östlich des Jordans, also außerhalb des von Gott bestimmten gelobten Landes niederließen und die noch vor den beiden Stammländern von den Nachbarvölkern geschluckt wurden. Nun finden die Edomiter Erwähnung. Zur Zeit Jesu tauchen Mischvölker in und um den dann römisch besetzten Staat Israel auf. Das hat doch schon sehr viel Ähnlichkeit mit der Gruppe Menschen, die heute Christus als ihren Messias angenommen haben. Die „Geschwisterschaft Christi“ ist aufgesplittert in große, kleine und kleinste Gruppen, die sich alle mehr oder weniger eng um ihren Messias geschart haben. Und objektiv betrachtet, herrscht oftmals Konkurrenzdenken zwischen diesen Gruppen und es kommt auch vor, dass Angriffe, die eine Gruppe – sei es nun unverschuldet oder selbstverschuldet – zu ertragen hat, von anderen Gruppen schadenfroh beobachtet oder sogar ausgenutzt werden, um in der anderen Herde zu wildern. Dies begann bereits bei den Anfängen, als Judenchristen versuchten Heidenchristen zum Judentum zu bekehren und verstärkte sich einige hundert Jahre später mit jeder weiteren Aufsplitterung der damals noch jungen Kirche.
Und es hat bis heute nicht aufgehört.
Gott warnt uns hier, dass er Gemeinschaften zerschlagen wird, die den Bund der Gläubigen – die wahre Kirche, denn es gibt nur eine Kirche des Herrn und sie kennt keine Konfession – auf eigene Rechnung stören.
Auch das ist eben der Advent. Wir warten auf das wahre Licht, und es gibt nur ein Licht in der Finsternis. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auf dieses Licht lenken und uns von ihm leiten lassen. Wir sind alle vom Licht Geführte, keiner von uns führt die anderen. Keine Gruppe steht über den anderen. In der Offenbarung des Johannes tragen alle dieselben weißen Gewänder.