Erste Strophe – Hohelied 1,1 – 2,6 (13. + 14. Juli)

„Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems: Erregt und erweckt nicht die Liebe, bis es ihr gefällt!“ (Hld 2,7)

König Salomo schrieb dieses Lied auf die Liebe zwischen ihm und Sulamit. Es ist sehr fraglich, ob er mit diesem Song wirklich einen Lobpreis für Gott im Sinn hatte und doch hat es der Text – der einzige Liedtext, der von Salomo erhalten blieb – in die Bibel geschafft.

Die Redaktion rechtfertigt die Aufnahme des hocherotischen Textes damit, dass Salomo hier als Bild für Christus und seine Braut Sulamit für die Braut Christi, also die Gemeinschaft der Christen und damit in der persönlichen Erfahrung für jeden einzelnen und jede einzelne in dieser Gemeinschaft steht. In diesem Sinne wäre der Glaube eben keine Ableistung von Pflichten, sondern eine sinnliche Erfahrung und beim Lesen fragt man sich als erstes, wie sich daraus – und aus einem den Menschen und ihrem Leben zugewandten Anführer – eine so lebens- und weltabgewandte Religion entwickeln konnte. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes himmelweiter Unterschied zwischen „das von Gott geschenkte Leben

in all seinen Farben annehmen“ (was durchaus auch eine Form von Gottesfurcht sein kann) und „sich den Trieben und Begierden, sprich:  den Gesetzen dieser Welt, unterwerfen“ … aber der Reihe nach!

In der ersten Strophe kennen sich die beiden noch nicht wirklich. Da war ein Kuss und bei beiden ist die Liebe entbrannt. Doch Sulamit hält nicht sehr viel von sich selbst, empfindet sich eher als hässlich. Aber sie sehnt sich nach ihrem noch weitgehend unbekannten Geliebten

„Sage mir doch, du, den meine Seele liebt: Wo weidest du? Wo hältst du Mittagsrast? Warum soll ich wie eine Verschleierte sein bei den Herden deiner Gefährten?“ (Hld 1, 7)

Sulamit sehnt sich nach Salomo und leidet an der im Moment noch notwendigen Heimlichtuerei.

Für Salomo, dessen Liebe zu Sulamit nicht weniger brennt, ist sie die schönste Frau der Welt. Er vergleicht sie, die er Freundin nennt – im Moment noch ganz allgemein – mit der Schönheit und der Fülle der Natur. In einem Wechselgesang versucht Sulamit sich immer wieder klein zu machen, was Salomo nur zu größeren, prächtigeren Vergleichen verleitet.

Christus und seine Braut – ein harter Schnitt!?

Vielleicht nicht. Wenn wir Menschen uns so betrachten, sind wir doch unbedeutende Staubkörnchen in diesem überwältigend großen Universum. Den Blick nur auf diesen Planeten beschränkt schneiden wir dank unseres Verstandes dann zwar besser ab, aber das war’s dann auch schon. Der Mensch als Erdenbewohner ist alles in allem höchst durchschnittlich. Und doch sagt Gott: Ich habe dich nach meinem Bild geschaffen. Obwohl im Grunde sein Eigentum wirbt er um uns. In seinen Augen sind wir schön und wenn wir von seinem Werben erfahren, wenn er uns küsst, dann ist das total verwirrend, denn wir sind doch nichts Besonderes!

Doch!, sagt Gott. Du bist so besonders, dass ich Mensch werde, damit wir zusammen sein können. Keine göttliche Pracht und Herrlichkeit könnten ein Ersatz für diese Liebe sein.

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