Hesekiel 2,1 – 3, 15 (6. - 7. Juni)

„Sie sind ein stures Volk.“ (Hes 3, 9)

Diesen Satz bekommt Hesekiel in der Klage Gottes gegen sein Volk immer und immer wieder zu hören.

Doch zunächst beruft der Mensch auf dem Himmelsthron Hesekiel zum Propheten über das Volk. Der erste Schritt hierzu: Der Geist stellt Hesekiel, der vor der Herrlichkeit Gottes im Staub liegt, erst einmal wieder auf die Füße. Das ist ein überaus starkes und wichtiges Bild, gerade für unsere Zeit, in der jedes Kind Gottes zum Verkündiger für seinen Herrn, also quasi zum Propheten- oder Aposteldienst berufen ist: Wenn sich uns die Macht und Herrlichkeit Gottes offenbart, so macht uns das natürlich demütig und wir werden uns niemals vorher kleiner und ohnmächtiger gefühlt haben. Doch Gott will das nicht! Gott will nicht, dass unsere Demut uns lähmt. Seine Macht soll uns nicht niederdrücken, sie soll uns anspornen. Wenn wir seinem Ruf folgen, dient uns seine Macht, stärkt uns und treibt uns an. Unserer empfundenen Bedeutungslosigkeit gemäß im Staub liegend können wir den Willen Gottes nicht erfüllen. Daher sein erster Schritt: Gott richtet die Gebeugten auf.

Er erklärt dies auch Hesekiel. Ohne Zweifel wird der Prophet Widerstand aus dem Volk erfahren, wenn er im Auftrag Gottes den harten Ratschluss des Herrn überbringt, doch er wird ausgerüstet sein, für die Dinge, die auf ihn zukommen. Gott sorgt dafür.

Der König und Richter auf dem Thron gibt Hesekiel nun eine Schriftrolle und fordert ihn auf, diese zu essen. Wäre es nicht besser und vernünftiger, sie zu lesen? Eine berechtigte Frage und die Antwort wissen wir, wenn wir uns die Welt da draußen anschauen.

Unser Wissen über die Welt und die Zusammenhänge verdoppelt sich inzwischen im Abstand von etwa 9 Monaten (vielleicht ist der Abstand inzwischen sogar schon kürzer). Auch über das was wir mit diesem Wissen anstellen, wissen wir aus Presse, Funk und Fernsehen recht gut Bescheid. Wir wissen mit unserem Verstand also sehr genau, was gerade schiefläuft – und nützt es was? Das Lesen der Schriftrolle entspricht der Aufnahme des Wortes Gottes mit dem Verstand, der alles Wissen nebeneinander packt und dann – wir sehen es ja selbst – nicht die Richtung einschlägt, die notwendig wäre, die die richtige wäre. Es nützt nichts, die Erkenntnisse Gottes (und sein daraus resultierendes Urteil) mit den Augen aufzunehmen, wir müssen es verinnerlichen, es uns zu eigen machen. Wenn die Augen aber schon für den Verstand stehen, bleibt nur noch der Mund und die übliche Aufnahme fester Kost geschieht dort durch Aufessen.

In dieser Vision macht sich der Prophet Hesekiel die Wahrheit Gottes zu eigen; kein Wissen, das er mit sich rumschleppt wie ein Buch oder Wissen aus einem Buch, sondern eine Erkenntnis, die ihn verändert und ein Teil von ihm wird. Hesekiel steht in diesem Moment vor Gott, d.h., er ist in der Wahrheit, aber durch die Schriftrolle ist die Wahrheit nun auch in ihm. Dieser Vorgang kommt uns bekannt vor:

„Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt reichlich Frucht. Denn getrennt von mir könnt ihr gar nichts bewirken.“ (Joh 15,5)

Wir wiederholen diesen Vorgang mit jeder Eucharistiefeier! Das Abendmahl, eingeführt von Jesus unmittelbar vor seiner Kreuzigung, ist mehr als eine symbolische Geste, die seinen Opfertod verherrlicht. Wir verinnerlichen das Wort Gottes im Abendmahl. Wir haben es zuvor gehört, gelesen und besungen und jetzt machen wir es uns zu eigen. Das Wort Gottes – von Johannes wissen wir, Jesus selbst ist das Wort Gottes – verbindet sich untrennbar mit uns, wird ein Teil von uns, verändert uns dauerhaft. Das ist das Bewusstsein, mit dem wir zur Kommunion gehen (sollen) und die einzig notwendige Bedingung, die uns rüstet, in der richtigen Haltung daran teilzunehmen. „Der Leib Christi“ ist gleichbeutend mit „Das Wort Gottes“ – Freispruch und Schuldspruch zugleich. Nur deine innere Haltung entscheidet darüber, was du empfängst.

„Wer hört, was ich sage, und sich nicht danach richtet, den verurteile ich nicht. Denn ich bin nicht in die Welt gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten. Wer mich verachtet und nicht annimmt, was ich sage, hat seinen Richter schon gefunden: Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn an jenem letzten Tag verurteilen.“ (Joh 12, 47-48)

Und damit ist auch klar: Erst durch den Verzehr der Schriftrolle wird Hesekiel, knapp 600 Jahre vor Einführung der Eucharistiefeier, von Gott begabt (er erhält die Gabe), dessen Willen zu tun. Darum schmeckt die Rolle auch süß wie Honig, obwohl sie beidseitig mit Klagen beschrieben ist. Und darum sagt Gott, der Richter, zu Hesekiel: Die anderen Völker würden mein Wort sofort aufnehmen. Es ist nicht nur eine Bestandsaufnahme über das, was mit diesem Volk zu erreichen sein wird, sondern auch ein Ausblick auf die Ereignisse, die noch viele hundert Jahre auf sich warten lassen.

Für Hesekiel, der noch nie etwas von einer Eucharistiefeier gehört hat und der aus seiner Sicht völlig unvorbereitet in diese Situation kam, ist all das einfach zu viel. Völlig verdattert kehrt er aus seiner Vision in den Alltag zurück und tut erst einmal gar nichts.

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