Hesekiel 3, 22 – 7, 27 (9. – 12. Juni)

Allerdings befiehlt Gott Hesekiel nun, sich in sein Haus zurückzuziehen, gleichzeitig nimmt er ihm die Möglichkeit zu sprechen.

„Du sollst kein Strafprediger mehr für sie sein, denn sie sind ein trotziges Volk.“ (Hes 3, 26)

Nur noch, wenn Gott selbst etwas zu sagen hat, werde er ihm die Zunge wieder lösen.

Hat sich Gott die Sache anders überlegt? Nein, er hat zunächst nur andere Pläne mit seinem Propheten. Das Volk ist im Gesetz wohl unterrichtet; es weiß, was es falsch macht, auch die Folgen für dieses Fehlverhalten wurden ihm bereits am Berg Sinai genannt und gezeigt, ein zweites Mal, als sie sich weigerten, das gelobte Land in Besitz zu nehmen. Die Zeit des Redens, des Rufens ist nun vorbei.

Gott geht mit Hesekiel nun in Klausur. In mehreren Zeichen soll er demonstrieren, welchen Weg das Volk beschritten hat und wohin das nun führen wird.

Und Gott kündigt in der Tat ein Strafgericht über Israel an!

Er kündigt an, wie sich die Völker um Israel herum, ja die ganze Welt gegen dieses Volk auflehnen und es niederwerfen wird.

Tatsächlich befinden wir uns ja zur Zeit dieser Vision im fünften Jahr nach der endgültigen Unterwerfung des Volkes Gottes unter das Gesetz der Babylonier. Alle Anführer des Volkes und vermutlich ein großer Teil der arbeitsfähigen Männer wurden bereits verschleppt und in das riesige Reich der Babylonier als Sklaven oder abgabepflichtige Fronarbeiter verstreut. Lediglich die Gebildeten, Privilegierten wurden zu Beamten umgeschult und führten ein relativ gutes Leben. Wer jetzt noch im gelobten Land war, war nach Ansicht der Besatzer nicht einmal mehr wert, verschleppt und versklavt zu werden. Die „freien Israeliten“ waren ohne Schutz und Rechte, waren dem angekündigten Gericht also in der Tat bereits ausgesetzt. Das einst gelobte Land Israel war bereits erloschen, da war maximal noch ein letztes Glimmen über dem Tempelberg wahrzunehmen.

Wieso kündigt Gott hier also ein Strafgericht an, das jetzt erst beginnen soll?

Es ist im Grunde nur so zu erklären, dass Gott dieses von ihm verheißene und geschenkte Israel nun auch aus den Herzen der Überlebenden reißen wird. Dem Ende des Staates folgt das vorläufige Ende des Volkes. Den Plagen, die die Zurückgelassenen treffen werden, entsprechen ebensolche Plagen im geistlichen Leben der Überlebenden. Sie werden, auf dem Weg, auf dem sie sich schon lange Zeit befinden, Gott und seinen Segen und damit letzten Endes ihre Identität verlieren. Sie sind niemand in der Welt, in der sie jetzt leben und sie werden niemand sein vor Gott.

Der von ihnen ausgewählte und beschrittene Weg wird ihnen nun wie eine Strafe vorkommen. Ihre selbstgemachten und selbstgewählten Götter, Götzen aus dieser Welt, werden stürzen, werden ihnen keinen Halt bieten. Genau genommen werden sie jetzt erkennen, dass sie das nie taten; das bisschen Halt das sie spürten kam von ihrem abwartenden, nachsichtigen Gott, den sie aber schon längst vergessen haben.

Das Strafgericht, das Gott hier ankündigt, ist also in Wirklichkeit eine Offenbarung.

Gott zeigt ihnen, was sie vergessen und verloren haben und er zeigt ihnen, was sie stattdessen gewählt und deshalb jetzt zu erwarten haben. Da wir uns zur Zeit des Untergangs Israels aber im Bund des Gesetzes befinden, lautet der richtige Terminus für „Folgen des Gesetzesbruchs“ eben nicht „Offenbarung“ sondern „Strafe“.

Aber was hat dieser Überrest zu bedeuten?

Gott kündigt an, dass er alle auslöschen wird, bis auf einen kleinen Überrest. Selbstverständlich sind in jener Zeit nicht fast alle Israeliten gestorben, aber natürlich haben sie sich den Kulturen angepasst, in die sie verstreut wurden. Sie waren also, wie bereits beschrieben, geistlich ausgelöscht, sie hörten auf, Israeliten zu sein. Doch Gottes Plan sieht Rettung vor, nicht Verdammnis. Der Überrest ist also genau wie die Auslöschung geistlich gemeint. Die Menschen haben Gott vergessen, doch Gott lässt das nicht zu. Es bleibt in ihnen ein kleiner Überrest und sei es nur eine Leere, die darauf hinweist, dass etwas fehlt. Menschen sind Geschöpfe Gottes und entweder sie haben eine Verbindung zu ihrem Schöpfer oder sie fangen früher oder später an, danach zu suchen. Der „Überrest“ ist die Gnade Gottes, die Option jederzeit zu ihm umzukehren.

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