„Ich danke dir, denn du hast mich erhört und wurdest mein Heil! Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden; vom HERRN ist das geschehen; es ist wunderbar in unseren Augen!“ (Psalm 118, 22-24)
„Er aber blickte sie an und sprach: Was bedeutet denn das, was geschrieben steht: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden?«“ (Lk 20,17)
Das zweite Kapitel des Briefes dreht sich um dieses Zitat aus Psalm 118, das – wie Jesus deutlich macht – von ihm spricht.
Petrus ruft die Gläubigen zu einem gottgefälligen und gewaltfreien Lebenswandel auf, denn in Christus, lebendiger Eckstein der neuen Kirche und Stein des Anstoßes für alle Ungläubigen, sind auch wir lebendige Steine dieser Kirche und zum Priestertum berufen, jeder und jede einzelne von uns.
Wir verkünden das Wort unseres Herrn durch die Tugenden, die wir im Alltag leben. Wenn also Jesus von sich sagt: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ (Joh 16,33) so haben auch alle Menschen in Christus die Welt überwunden. In Christus können wir den Prüfungen und Verlockungen der Welt widerstehen, der Glaube und der Heilige Geist ermächtigen uns zu diesem Leben. Glaube und Geist befreien uns von den Fesseln dieser Welt.
Doch würde Gewalt – körperlich, verbal oder psychisch – gegen andere oder Widerstand gegen die Obrigkeit um des Widerstands willen ein Missbrauch dieser die Welt überwindenden Macht darstellen. Ganz im Gegenteil, sollen sich Christen unterordnen, wie Jesus dies vorgelebt hat.
„Erweist jedermann Achtung, liebt die Bruderschaft, fürchtet Gott, ehrt den König!“ (1 Petr 2, 17)
Es ist der Geist der Bergpredigt, der in diesem Satz nachklingt. Natürlich darf auch nicht die Zeit übersehen werden, in der dieser Brief geschrieben wurde: Christen wurden sowohl von den Juden als auch von den Römern verfolgt. Die Römer machten sie für Unruhen und Aufstände in ihrem Reich verantwortlich. Ein Evangelium, das von der Befreiung des Menschen spricht, kann so interpretiert werden, und für jedes Unheil sofort irgendwelche Schuldigen vorweisen zu können, wirkt sich positiv auf die Beliebtheit und damit den Machterhalt eines Kaisers aus.
Durch ihren befreiten Geist in Jesus Christus waren die Christen selbst zum Stein des Anstoßes geworden. Petrus ermahnt die Gläubigen, nicht diesem Ruf (der Welt) gerecht zu werden, sondern dem Ruf ihres Herrn zu folgen, der sich in jeder Bedrohung der weltlichen Gewalt unterordnete, selbst als es ihm ans Leben ging. Nur in der gelebten Liebe zum Nächsten konnten sie das Wort des Herrn weitertragen. Nur durch gelebte Liebe zum Nächsten und Gehorsam gegen die Obrigkeit konnten sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe entkräften.
Und heute? Immer noch sind Christen zur Gewaltlosigkeit und zum Gehorsam aufgerufen, das sind die sichtbaren Insignien unseres Priestertums: keine Gewalt in und gegen die Welt und Gehorsam gegen Gott. Natürlich steht nach wie vor auch der König, also die Obrigkeit in dem Aufruf des Petrus, aber – man beachte – der König steht an letzter Stelle. Petrus selbst hatte vor dem Hohen Rat in Jerusalem gesagt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5, 29). Und das gilt heute – insbesondere in liberalen Rechtsstaaten – umso mehr! Moderne Staaten und Gesellschaften haben zumeist humanistische Werte und Überzeugungen, die – wenig überraschend, denn von da abgeleitet – zumeist voll im Einklang stehen mit den Werten unseres Priestertums in Jesus Christus. Wann immer die Obrigkeit also in ihren Gesetzen und Verordnungen von diesen Werten abweicht, sind wir dazu aufgerufen, sie trotzdem einzuhalten und, bei Wahrung von Respekt und Anstand und gewaltfrei, auf diese Abweichung von der vorgegebenen Norm, die ja durch die Verfassung auch Norm des Staates ist, hinzuweisen. Auch heute sind Christen dazu aufgerufen, die Werte des Evangeliums zu leben, auch wenn sie dadurch in diesen zunehmend egoistisch werdenden Gesellschaften zu Steinen des Anstoßes werden. Lebendiger Stein der Kirche und Priester in der und für die Versammlung und Stein des Anstoßes wo sich Unglaube breit macht sind Synonyme für den Bund der Gnade, den Gott mit uns durch seinen Sohn geschlossen hat:
„Er hat unsere Sünden selbst an seinem Leib getragen auf dem Holz, damit wir, den Sünden gestorben, der Gerechtigkeit leben mögen; durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie Schafe, die in die Irre gehen; jetzt aber habt ihr euch bekehrt zu dem Hirten und Hüter eurer Seelen.“ (1 Petr 2, 24+25)