Israel kommt nicht zur Ruhe. Kapitel 21 berichtet von einer drei Jahre währenden Hungersnot, die über das Land kommt. Gott erklärt David, dies sei die Folge der Blutschuld Sauls gegen die Gibeoniter. Der Fluch wird erst gelöst, nachdem sieben Nachkommen aus dem Hause Sauls von den Gibonitern aufgehängt und später zusammen mit den Gebeinen Sauls und Jonathans bei Sauls Vater Kisch in Zela bestattet wurden.
Saul ist doch schon Tod, sein Haus in der Bedeutungslosigkeit verschwunden – also wieder so ein Fall von unverständigem Kopfschütteln? Hier werden andere Dinge wirksam, denn die Juden wollten ja einen Vertrag auf Gegenseitigkeit mit Gott und Gott gab ihnen das Gewünschte in Form des Gesetzes. In diesem Gesetz ist festgeschrieben, dass die Schuld der Väter auf deren Kinder übergeht, wenn sie nicht gesühnt wurde. Wir hatten schon erkannt, dass ein König sowas wie der Vater der ganzen Nation ist. Nach dem Gesetz ist diese Hungersnot damit nichts anderes als der Fluch einer ungesühnten Schuld. Rein naturwissenschaftlich betrachtet, berichtet auch dieses Kapitel auch wieder von zahlreichen Kriegen gegen die Philister. Auch die letzten Regierungsjahre Davids scheinen nicht friedlich gewesen zu sein. Wir erfahren auch, dass die Heerführer David empfehlen, nicht mehr mit in die Schlacht zu ziehen, weil er alt und langsamer wurde.
Wenn aber die wehrfähigen Männer ständig in den Krieg ziehen, wer bestellt dann die Felder? Sicher haben die Frauen und Kinder ihr Möglichstes getan, aber das taten sie vorher auch schon. Die Männer fehlten auf dem Feld und keiner konnte sie ersetzen, weil ständig Krieg war. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass diese Hungersnot menschengemacht war, ebenso wie die endlose Reihe von Kriegen eine Folge falscher Entscheidungen sein kann, die ihren Anfang bei König Saul, unter anderem aber nicht nur bei der begangenen Blutschuld gegen die Gibeoniter nahm.
Wir müssen uns bewusst machen, dass das Gesetz das Gott den Israeliten gab kein Dienstleistungsvertrag darstellt, der bestimmte Leistungen Gottes von bestimmten Gegenleistungen seines Volkes abhängig macht, auch wenn es bis heute oft so interpretiert wird. Gott hat den Menschen im Gesetz erklärt, nach welchen Regeln die Welt funktioniert, etwas, worauf man auch durchaus hätte selbst kommen können. Die oberste Regel in diesem Werk lautet: Wenn du deine Fehler nicht selbst aus der Welt schaffst, dann bleiben die da und fallen auf deine Nachkommen zurück, so lange bis sie – die Fehler oder die Nachkommen – aus der Welt geschafft sind.
Und alles was die Israeliten und heute natürlich auch wir erkennen sollten ist, dass wir mehr Fehler machen, als wir aus eigener Kraft beseitigen können. Darum ist diese Welt verloren und wird nur durch Gottes Gnade zusammengehalten. Nur Gott überwindet die Welt und deren Gesetze. Das erste Gebot „Du sollst Gott den Herrn lieben …“ ist nichts anderes als die Lösung eines für den Menschen unlösbaren Problems. Wenn du das eingesehen hast, ist die Hemmschwelle sich unter den Schirm dieses Gottes zu stellen plötzlich fast verschwunden und es kostet dich nur noch einen winzigen Schritt auf deinen Retter zu. Auf das große Ganze betrachtet, geht es nicht um uns und was wir tun können, sondern um das, was für uns getan wurde und was uns dies ermöglicht.
Über diese Einsicht Davids handeln die Kapitel 22 und 23, „nachdem“ er in Kapitel 24 noch ein letztes Mal seiner Eitelkeit nachgegeben hat und sein Volk zählen lässt. Der Prophet Gad macht ihn auf diesen groben Schnitzer aufmerksam und stellt ihn im Namen Gottes vor die Wahl: Sieben Jahre Hungersnot oder drei Tage Pest, jeweils fürs ganze Land oder aber David muss drei Monate vor irgendwelchen Widersachern fliehen. David entscheidet sich gegen die Flucht und vertraut auf die Gnade Gottes, wenn es ums Land geht. Erst als die Pest vor den Toren Jerusalems angekommen ist, übernimmt David Verantwortung und Strafe auf sich. Die Strafe ist einfach: Er soll auf dem späteren Tempelberg (was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste) einen Opferaltar errichten und Gott opfern. Natürlich nimmt Gott das Opfer an, er hatte es ja vorgeschlagen.
Die Frage ist, warum dieses das letzte Kapitel im 2. Buch Samuel ist, enthält doch das Kapitel 23 die letzten Worte Davids. Es passt da einfach nicht hin. Die ältesten Abschriften dieses Buches gehören zum Fund der Schriftrollen von Qumran und werden auf das dritte bis erste Jahrhundert vor Christus datiert. Wir dürfen also annehmen, dass die Urschriften deutlich älter sind. Ich stelle mir vor, wie die Propheten zur Zeit Davids und danach diese beiden Bücher des Propheten Samuel zusammengestellt haben, wie sie nach Abschluss dieser Arbeit auf den Text des Kapitels 24 stießen und ihn, um ihn nicht zu unterschlagen – die Schriftrollen jener Zeit waren ja Handarbeit, es war ohne komplette Neuschrift nicht möglich dieses Kapitel irgendwo einzufügen – mit etwas schlechtem Gewissen an den ursprünglichen Schluss des Buches dranhingen.
Doch damit enden die Bücher Samuels und die Erzählung über David nicht mehr mit dem natürlichen Tod des Königs, sondern mit einem Sühn- und Friedensopfer. Und somit endet die Erzählung über das Bild unseres Herrn, das in David zu sehen ist, viele hundert Jahre vor der Menschwerdung Christi aufgeschrieben, mit einem Opfer, das dem ganzen Volk Gottes Rettung bringt, ganz genau wie das Evangelium. Und wieder ist das Volk Israel ein Bild für alle Kinder Gottes dieser Welt.
Aber es fehlen noch die Kapitel 22 und 23!
Das Kapitel 22 enthält das Danklied des Königs. David dankt seinem Gott für dessen Treue und Unterstützung. Er verneigt sich in dieser Anbetung vor dem Gott, der ihn nicht nur aus allen ernsten Schwierigkeiten herausgeholt, sondern ihn auch gnadenvoll durch diese hindurch begleitet habe. David sieht also seinen Erfolg nicht in seiner eigenen Klugheit und seinem Geschick als Staatsoberhaupt, sondern allein in der ständigen Gegenwart des über ihm stehenden allmächtigen Herrschers, der dies genau genauso gefügt hat. Auch wenn die Entscheidungen des Königs über die Jahrzehnte hinweg oft nicht diese Gewissheit ausstrahlten, jetzt im Rückblick ist David sich bewusst: Gott war die ganze Zeit neben mir. Er hat mich den ganzen Weg über begleitet, was an sich schon widerlegt, dass es Situationen gäbe, in denen Gott tatenlos bliebe. Es ist der Status unserer Beziehung zu ihm, der ihn – wenn diese schwach, krank oder gar sterbend ist – tatenlos erscheinen lässt.
Kapitel 23 enthält die letzten Worte Davids. Er fasst nochmal kurz zusammen, dass sein Haus, seine Familie, nur vor dem Volk bestehen konnte, weil er unter dem Segen Gottes stand. Dann zählt er die Personen auf, die sich während seiner Regentschaft um Volk, Nation und König verdient gemacht haben – seine Helden, soweit noch am Leben die wichtigste Hinterlassenschaft für seinen Nachfolger: verlässliche Berater und Freunde … und bei Weitem nicht alles Israeliten, sondern ein buntes Vielvölkergemisch, treu versammelt hinter einem gemeinsamen König, genau wie die heutige Kirche.