Asaph fühlt sich und das Volk von Gott verlassen. Er klagt Gott, dass der Feind die Versammlungsstätte des Volkes schändete und fragt ihn, wie lange er dies noch dulden werde. Wenn ich die Entstehung dieses Psalms in einer Zeit verorten sollte, würde ich die Phase wählen, in denen Davids Sohn Absalom die Herrschaft über Jerusalem antrat und David mit seinen Leuten auf der Flucht war.
Theologisch wird dieser Psalm als Vision des Sehers gewertet, der die Zerstörung des – zu Zeiten Asaphs noch gar nicht existenten – Tempels durch die Babylonier viele Jahrhunderte später beschreibt und beklagt. Diese Zerstörung des irdischen und steinernen Tempels wiederum war aber nur ein Bild für die Angriffe und die Schändung des eigentlichen Tempels, also der Gemeinschaft der Gläubigen, in der Endzeit.
Asaph beklagt hier also im Grunde die Angriffe gegen die Kinder Gottes durch die Kinder der Welt, der Hure Babylon, wie die gefallene Welt in der Offenbarung genannt wird. Diese Schändungen des Tempels Gottes finden durch alle Zeiten hindurch statt. Auch wenn Jesus beruhigt, dass die Zeit des Gerichts Dank der Gnade des Vaters verkürzt wurde, dürfen wir uns dieses wohl eher nicht als eine Phase von 1260 zusammenhängenden Tagen vorstellen. Das Gericht tobt bereits über dieser Welt und es wird immer dann für die Menschen sicht- und spürbar, wenn der Glaube schwach ist.
Darum empfinden Menschen Kriege, Naturkatastrophen und Pandemien oft als Anfang des Gerichtes Gottes. Darum hört und liest man besonders in diesen Zeiten oft über Spekulationen, das wievielte Siegel denn aktuell gerade gebrochen werden dürfte.
Ja, das Gericht läuft bereits und aus dem Blickwinkel der Ewigkeit hat es einen sehr geregelten (und verkürzten) Ablauf. Doch wir blicken mit unseren menschlichen Augen auf diesen Vorgang und wir fragen uns dann, genau wie Asaph: Herr, wie lange noch?
Und es erscheint uns als schwiege Gott. Wir hören Gott nicht in dieser Not, weil die Frage Ausdruck von Zweifel und nicht Ausdruck des Glaubens ist. Der Zweifel schreit zum Himmel, während Gott flüstert. Der Zweifel ist blind für Weg und Plan des Herrn. Der Glaube schärft die Sinne für dessen Wort und Weisung.
Denn was die Gläubigen in all der Not und dem Elend sehen und erleben, das ist die Gnade ihres Königs. Es gibt kein Gericht für die Kinder Gottes! Ja, auch sie werden Opfer von Krieg, Gewalt, Naturkatastrophen und Krankheiten, sie erleiden Angst, Schmerz und Tod, aber gleichzeitig erleben sie die Geborgenheit in den Händen ihres Gottes, der sie die ganze Zeit über trägt und der sie sicher heim bringt am Ende ihres irdischen Weges.
Gericht oder Gnade? – Das ist eine Frage von Glauben und Beziehung.