Einmal im Jahr am Versöhnungstag erwirkt der Hohepriester Aaron in einer detailliert festgeschriebenen Zeremonie Sündenerlass für das ganze Volk. Der für das Volk wichtigste Punkt dieser Zeremonie ist die Übertragung ihrer Sünden auf einen Bock, der danach in die Wüste gebracht wird, um dort zu sterben. Nicht minder wichtig: Das Volk, sowohl Israeliten als auch Fremde, die bei ihnen leben, haben an diesem Tag einen außerordentlichen Ruhetag, an dem nicht gearbeitet werden darf. Die Israeliten sollen diesen Tag nutzen, um zu ihrem Gott zu beten.
Der sprichwörtliche „Sündenbock“. Er trägt die Schuld der Israeliten aus Jerusalem (zum Zeitpunkt, da Gott dies den Israeliten aufträgt, natürlich noch aus dem dann aktuellen Lagerplatz in der Wüste) hinaus in die Wüste. Die Stadt Jerusalem steht hier – aus unserer Sicht – für das himmlische Jerusalem, die Wüste für die gefallene Welt. Die Wanderung der Israeliten symbolisiert unsere Pilgerschaft durch diese Welt und dieses Leben. Durch den Bock wird deutlich, dass die Sünden zurückbleiben bzw. zurückgehen in die Welt. Der Sündenbock selbst, der die Sünden auf sich nimmt, steht natürlich für Jesus. Er trägt die Sünden in die Wüste, damit wir rein stehen vor unserem Gott.
Dass die ganze Versöhnung allein durch Willen und Tat Gottes geschieht, wird noch durch das Arbeitsverbot an diesem Tag verdeutlicht. An diesem Tag geht es nur um die Versöhnung mit Gott und nur Gott ist hier aktiv. Durch das beständige Gebet am Versöhnungstag machen sich dies die Israeliten zusätzlich bewusst.
Die Protestanten haben diese wertvolle Tradition des Sich-Bewusstmachens durch ihren Buß- und Bettag wiederaufleben lassen. Katholiken erledigen das durch ein Bekenntnis zu Beginn einer jeden Heiligen Messe. Ich bin mir nicht sicher, ob ein paar Minuten – auch wenn sie wöchentlich zelebriert werden – einen ganzen Tag des Lobs und des Danks für die geschenkte Versöhnung ersetzen können. Es geht hierbei nicht darum, was Gott gebührt, sondern darum, was der Mensch braucht, um zu erkennen.