Gott ist nicht gegen das bedingungslose Grundeinkommen!

Es ist für mich inzwischen liebgewordene Tradition: Wenn ich sonntags nicht im Gottesdienst bin, so schaue ich zur selben Zeit die Fernsehkanzel der Arche-Gemeinde Hamburg auf Anixe Plus.

Heute besprach Pastor Wolfgang Wegert das vierte Gebot, das besagt, dass wir sechs Tage arbeiten und am siebten Tag ruhen sollen. Pastor Wegert gefiel sich hier heute in der Rolle eines Richters über die derzeitige Diskussion über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Mehrere Minuten wetterte er gegen diese Idee. Schließlich habe ich, zum allerersten Mal, mitten in der Predigt abgeschaltet und diesen Text geschrieben.

Er begründet seine persönliche (ablehnende) Meinung mit der Bibel und das ist falsch!

Ich hatte in den letzten Tagen häufiger das Gefühl, ich sollte hier mal ein paar Worte über soziale Gerechtigkeit einbringen, hab’s aber vor mir hergeschoben. Doch jetzt geht das nicht mehr; ich begreife diese Predigt des Herrn Wegert nicht als Zurechtweisung meines Gottes bezüglich meiner Haltung, sondern als den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern, endlich aktiv zu werden. Papa macht das bei mir von Zeit zu Zeit so, weil ich – sobald ich anfange nachzudenken – dazu neige, umstrittende Themen totzuschweigen, auch weil ich weiß, dass ich häufig zu schnell und aus der Hüfte schieße.

Kürzlich hat die Bundesregierung entschieden, das Bürgergeld von „ungenügend“ auf „mangelhaft“ (in Schulnoten gesprochen) aufzustocken und ein namhafter Politiker fühlte sich berufen, im nächsten ihm zur Verfügung gestellten Mikrofon auf das „Lohnabstandsgebot“ hinzuweisen, das es einzuhalten gelte. Das Lohnabstandgebot (das es so nicht gibt, aber es bedient den Neid mancher Menschen) besagt in meine Sprache übersetzt: „Wenn ein Mensch, der Arbeit im Niedriglohnsektor hat, mit seinem Einkommen nur gerade so über die Runden kommt, dann muss es einem Menschen, der keine Arbeit hat, schlechter gehen.“ Natürlich spielt bei Menschen, denen dieses „Gebot“ wichtig ist, auch immer der Gedanke mit, dass Menschen, die keine Arbeit haben, generell nicht arbeiten wollen. Dieser Gedanke spielte ganz offensichtlich auch bei Pastor Wegert die zentrale Rolle, benutzte er doch auch mehrfach den Begriff der „sozialen Hängematte“. Leider hat dieses Gedankengut tatsächlich auch eine biblische Wurzel, denn der Apostel Paulus schrieb in seinem zweiten Brief an die Thessalonicher „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“

Wenn ich einmal Gelegenheit dazu bekomme, werde ich Paulus zu diesem und einigen anderen Sätzen zur Rede stellen!

Ich erinnere mich nämlich auch an den Satz meines Herrn: „Wenn dich jemand nötigt, eine Meile weit zu gehen, so geh mit ihm zwei“ (Mt 5, 41). Mit „jemand“ beschränkte sich Jesus ganz sicher nicht auf römische Soldaten, auch wenn er sich mit diesem Beispiel auf das römische Besatzungsrecht jener Zeit bezog. Wir Christen sind dafür verantwortlich niemanden zurückzulassen, das ist nicht von seinem Arbeitswillen abhängig. Es kann gar nicht davon abhängig sein, weil uns Christus auch untersagt hat, jemanden zu verurteilen (Mt 7, 1-2). Vorauszusetzen, dass jemand an seiner Situation ganz allein selbst schuld ist und sich erst einmal selbst helfen soll, widerspricht der Lehre Christi.

Umgekehrt wird ein Schuh draus!

Solange ich noch „wuseln“ kann, werde ich meine Arbeit verrichten und damit ein System stützen, das ich für schlecht halte (dass es unter all den schlechten eines der besten ist, macht es nicht gut). Mit Arbeit ist zwar bevorzugt das gemeint, was man landläufig unter Erwerbsarbeit versteht, aber nicht ausschließlich. Arbeit heißt, ich bringe mich aktiv in diese Gemeinschaft ein, mit meinen Gaben und Begabungen. Denn wenn das System zusammenbricht, wird es jenen, denen es heute schon nicht gut geht, noch schlechter gehen. Und genau dieses Verständnis von Verantwortung füreinander erwarte ich auch von jedem anderen Teilnehmer an diesem System. „Erwarten“ heißt aber nicht, dass ich generell davon ausgehe, dass er das nicht tut, bis er mir das Gegenteil bewiesen hat. Das hieße, ihn zu verurteilen!

Wenn jemand wirklich Christ ist, dann ist es ihm ein persönliches Anliegen, dass Menschen nicht den Anschluss an die Gemeinschaft verlieren! Ich persönlich habe das Glück, dies in meiner „Familie vor dem Herrn“ genauso zu erleben. Aber genau das erinnert mich daran, dass dies nicht der Standard dieser „abendländisch-christlichen Kultur“ ist. Gerade Menschen, die nicht müde werden, ständig zu fordern, wir müssten unsere christlichen Werte und Kultur gegen die Werte anderer Kulturen verteidigen, täten gut daran, sich erst einmal sachkundig zu machen, welche Werte sie denn verteidigen möchten – um sich nicht schon beim ersten Satz als Schwätzer zu entlarven.

Und zum Schluss geht es jetzt tatsächlich auch noch um das bedingungslose Grundeinkommen. Es handelt sich hier mitnichten um eine „soziale Hängematte“, welche die Menschen zu völliger Untätigkeit einlädt. Es stellt Arbeit lediglich in einen neuen sachlichen Zusammenhang. Ich arbeite nicht mehr, weil ich das Geld brauche, um mich über Wasser halten zu können; ich arbeite, weil ich meine gesamtgesellschaftliche Verantwortung sehe und auch aktiv annehme. Dinge müssen getan werden und jeder soll gemäß seiner Veranlagungen und Gaben arbeiten.

Es ist hundertprozentig sicher, dass es Menschen geben wird, die dann tatsächlich nichts mehr tun werden, die das System also ausnutzen. Aber mal ehrlich, die gibt es heute auch und nicht wenige davon sind auch in oberen Einkommensgruppen zu finden. Auch diese nutzen das System aus und schaden ihm – wahrscheinlich sogar mehr als jene, die sich knapp 600 Euro Bürgergeld erschleichen oder bei Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens völlig untätig würden. Nach meiner Einschätzung ist es für die allermeisten Menschen ein Grundbedürfnis, nützlich zu sein und gebraucht zu werden. Diese Menschen werden immer einen Antrieb spüren, sich aktiv in die Gemeinschaft einzubringen.

Ich erlebe gerade im Schulbereich eine ähnliche Diskussion: Im Moment geht eine riesige Furcht bezüglich künstlicher Intelligenz, wie Chat-GPT und Co., um; eigentlich richtet sich die Angst gegen alle digitalen Lernformen. Der Vorwurf: Schüler würden diese Technik nutzen, um zu betrügen. Als ob es in der Vergangenheit nie Betrug bei der Anfertigung von Hausarbeiten gegeben hätte!

Um es klar zu sagen: Ich weiß nicht, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen (Experten haben gerade durchgerechnet: Es wäre durchaus zu finanzieren!), wirklich geeignet wäre, die Probleme in sozialer und Arbeitsgerechtigkeit zu vermindern oder gar zu lösen. Es wurde einfach noch nie flächendeckend und dauerhaft eingesetzt und die zu erwartenden (positiven wie negativen) Folgen sind daher Thema sozialwissenschaftlicher Prognosen. Ohne Zweifel wäre es daher ein gewagter Sprung in ein neues System.

Die Argumente, mit denen das bedingungslose Grundeinkommen heute abgelehnt wird, zeugen aber von Unverständnis über die tatsächlichen Ziele und Erwartungen an gesellschaftliche Entwicklung, von festgefahrenen Vorstellungen, dass Dinge quasi Gesetz sind und nicht geändert werden dürfen, weil jede grundlegende Änderung zwangsweise in eine Katastrophe führte und eben einem generellen Misstrauen gegen über allen Menschen, die heute Hilfe brauchen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Und sie sind eben geprägt von dem von Paulus verbreiteten Standpunkt „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.“ Aber wie gesagt: Zumindest als generelles Gebot verstanden, entspricht dieser Satz nicht der Lehre Christi. Ich habe darüber hinaus sogar Zweifel, ob diese Haltung in irgendeinem Fall christlich gerechtfertigt werden könnte.

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