Was das Grundgesetz mit Gott zu tun hat

Heute, am 23. Mai 2024, feiern wir in Deutschland 75 Jahre Grundgesetz. Aber was hat das mit Gott zu tun?

Paulus ruft uns zu: „Gehorcht der Staatsgewalt, denn sie ist euch von Gott gegeben!“ Wir haben damit heute so unsere Schwierigkeiten, aber im Grunde hat er recht – auch wenn er sich, da er das heutige Modell der Demokratie gar nicht kannte – unter Staatsgewalt natürlich was ganz anderes vorstellte.

Was ist denn die Staatsgewalt in einer Demokratie? Die aktuell anstehenden Europawahlen, in Baden-Württemberg auch noch zusätzlich die Kommunalwahlen, machen doch deutlich: Wir alle sind die Staatsgewalt!

Gewiss wir organisieren uns Organe, die für uns im Alltag die Staatsgeschäfte regeln, also Parlamente (Legislative), Richter/Gerichte (Judikative) und Polizei (Exekutive), sowie eine Menge Behörden und Ämter; der Staat ist durchorganisiert. Aber die Staatsgewalt sind wir: „Alle Macht geht vom Volke aus!“ (Artikel 20 des Grundgesetzes).

Das ist doch bei Gott ganz anders, oder? Weit gefehlt!

„Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen“ (Joh 14, 12)

So ermächtigt Jesus das Volk Gottes und bekräftigt diese Zusage an Pfingsten, als der Geist Gottes auf sein ganzes Volk herabkommt. Demokratischer geht es nicht! Vor Gott und in seinem Reich sind wir alle Staatsdiener und in dieser Welt üben wir das. Und wenn wir uns so betrachten, stellen wir fest. Unsere Übungsfortschritte haben noch eine Menge Potential nach oben.

Aber zurück zum Geburtstagskind!

Artikel 1 definiert den Geist, in welchem unsere Verfassung geschrieben wurde: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Die Würde des Menschen…

Würde – was ist Würde?

Der Duden sagt: „Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt, und die ihm deswegen zukommende Bedeutung“.

Die Würde eines Menschen zu achten, bedeutet also, in allen Handlungen und Äußerungen ihm gegenüber anzuerkennen, dass er sich in seiner Bedeutung von allen anderen Menschen nicht unterscheidet. Es ist nicht an uns, über einen Menschen ein Urteil zu fällen und ihn danach gemäß dieses Urteils zu behandeln.

Das ist nicht zu verwechseln mit einem richterlichen Urteil. Der Job der Richter ist, darauf zu achten, dass die Gesetze geachtet und – wieder auf alle gleich – angewendet werden. Dafür haben wir, das Volk – also die Obrigkeit in einer Demokratie – Richter eingestellt, dass sie das tun.

Das ist genau das, was auch Gott von uns verlangt!

„Urteilt nicht über andere, dann wird Gott euch auch nicht verurteilen! Richtet keinen Menschen, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Wenn ihr vergebt, dann wird auch euch vergeben.“ (Lk 6,37; HFA)

Und er fügt noch an:

„Denn er lässt seine Sonne für Böse wie für Gute aufgehen, und er lässt es regnen für Fromme und Gottlose.“ (Mt 5, 45; HFA)

Alle Menschen haben vor Gott die gleiche Würde inne; er behandelt alle Menschen gleich und er erwartet das auch von uns. Und genau das verlangt auch unsere Verfassung! In der juristischen Praxis sind hiermit natürlich vor allem die staatlichen Organe, also Legislative, Judikative und Exekutive gemeint. Menschen, die von sich behaupten Christen zu sein, können sich darauf aber nicht ausruhen – und die anderen (in einer modernen, vitalen Demokratie) auch nicht. Das Volk selbst ist – sowohl im Reich Gottes, wie auch in einem demokratischen Rechtsstaat – die oberste staatliche Gewalt im Land. Es ist an uns, jeden Menschen in seiner Würde zu achten und entsprechend zu behandeln. Und es ist auch ein Zeichen von Unverständnis, ja sogar Dummheit, jene Menschen zu beschimpfen und zu bespucken oder ihnen gar Gewalt anzudrohen oder sogar anzutun, die wir ausgewählt haben, den Staat für uns zu organisieren. Sachliche Kritik ist in einer Demokratie das Salz in der Suppe, aber niemand sägt an dem Ast, auf dem er sitzt!

Nun kannst du sagen: Ich habe diese Leute nicht ausgewählt – und du irrst dich mit dieser Äußerung! Du bist ein Mitbürger dieses Staates, der Regeln hat, Regeln die auch für dich gelten, solange du Bürger dieses Staates bist. Die wichtigsten Regeln gelten sogar auch dann für dich uneingeschränkt, wenn du dich als Gast in diesem Land aufhältst. Alle diese Menschen sind nach den Regeln dieser Gesetze ins Amt gekommen. Da du als Bürger dieses Landes an diese Gesetze gebunden bist und sie achten musst, sind das auch deine Leute, auch wenn du lieber andere an dieser Stelle hättest.

Ihre Entscheidungen sind für dich bindend, auch dann, wenn irgendjemand sagt, er werde sie zurücknehmen, wenn er die Macht dazu habe. Wobei eine solche Zusage an sich schon eigentlich eine Missachtung darstellt, da sie die Entscheidung der Obrigkeit, also des Volkes, nicht anerkennt. Man kann von anderen getroffene Entscheidungen modifizieren, wenn man Gelegenheit dazu hat. Gesetze werden in dieser Welt pausenlos fortgeschrieben, also angepasst und geändert, das ist nichts Außergewöhnliches. Das Ziel, demokratisch getroffene Entscheidungen, wieder komplett rückgängig zu machen, ist nach meinem Verständnis zutiefst undemokratisch, denn es missachtet das zuvor durch Wahl geäußerte Votum des Volkes, das durch die nächste Wahl nicht komplett ungültig, sondern – genau wie die Gesetze – nur fortgeschrieben wird.

Wieder eine Parallele zum Reich Gottes!

Für Christen gelten im Alltag all die Verhaltensregeln, die sich aus der Bergpredigt (der ganzen Bergpredigt, nicht nur den Seligpreisungen) ableiten lassen. Diese müssen nicht ausformuliert werden, wie das die Pharisäer und Schriftgelehrten mit dem Gesetz des Alten Bundes taten. Der Geist Gottes, der uns innewohnt, sorgt dafür, dass wir im entsprechenden Moment die passende Anwendung wählen. Aber auch Nicht-Christen sind daran gebunden! Praktisch alle Menschen auf diesem Planeten hören heute das Wort Gottes in ihrer Sprache oder zumindest in einer Sprache, die sie gut verstehen können. Gott, der heute alle Menschen gleich behandelt und gleich achtet, wird am Tag des Gerichtes auch Richter über alle Menschen sein. Christen (also Menschen, die Jesus als ihren Retter von Herzen anerkennen und an ihn glauben) haben dann – etwas flapsig ausgedrückt – nur den weltbesten Verteidiger an ihrer Seite.

Wer also das Reich Gottes ansatzweise versteht (mehr ist für uns im Moment ohnehin nicht drin), der kommt in Deutschland nicht um den Artikel 1 unserer Verfassung herum. Er ist – aufgrund unseres durch Gott erteilten Auftrags – der Dreh- und Angelpunkt unseres persönlichen Handelns in diesem Land.

Und wer sich etwas tiefer mit unserer Verfassung beschäftigt, der lernt: Alle weiteren Artikel bauen auf diesem ersten auf. Alle weiteren Artikel bedingen sich damit gegenseitig. Das heißt: Wer einen Artikel unserer Verfassung (insbesondere der ersten 20 Artikel) verletzt, der missachtet die Menschenwürde und damit die gesamte Verfassung.

Ähnlich streng sah das übrigens auch das Gesetz des Alten Bundes: Jedes Gesetz war einzuhalten. Wer nur das kleinste brach, der brach den ganzen Bund.

Darum hat Jesus auch versichert:

„Meint nur nicht, ich sei gekommen, das Gesetz und die Worte der Propheten aufzuheben. Nein, ich will sie nicht aufheben, sondern voll zur Geltung bringen! Ich versichere euch: Nicht der kleinste Buchstabe im Gesetz Gottes – auch nicht ein Strichlein davon – wird je an Gültigkeit verlieren, solange Himmel und Erde bestehen. Alles muss sich erfüllen.“ (Mt 5, 17-18)

An anderer Stelle bezeichnete ich die Zehn Gebote als die Verfassung des Reich Gottes – und weil das Reich hier unter uns beginnt, gilt diese Verfassung auch hier. Und wer genau hinschaut, der findet viele Artikel (vermutlich die meisten der ersten 20) inspiriert von den Zehn Geboten, die dann durch seine Bergpredigt von Jesus neu interpretiert wurden. Nicht die Wörter selbst sind das Gesetz, es ist der Geist, der uns deren tiefe Bedeutung eröffnet, es ist die Haltung mit der wir sie achten und leben – das macht aus einem Bundes- und Strafgesetz eine Verfassung, die (einzige) Leitkultur dieses Volkes. Die Haltung zur Verfassung definiert den Bürger im Reich Gottes und nicht die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinschaft oder die (Wasser-)Taufe.

Genau, wie auch das Grundgesetz die einzige Leitkultur der Bundesrepublik Deutschland ist. Die Haltung zum Grundgesetz definiert den Bürger der Bundesrepublik Deutschland und nicht ein Mitgliedsausweis (Pass) oder ein mechanisch aufgesagter Fahneneid.

Und die Realität?

In vielen Äußerungen schimmert gerade in nicht so glorreichen Zeiten die Haltung durch, dass die Würde eines Menschen letzten Endes doch von dem abhängt, wo er herkommt, was er besitzt und verdient – und weil sich persönliche Situationen unterscheiden, ja sogar ändern, ist die Würde damit antastbar. Menschen, die nicht unseren Ansprüchen genügen, wird von uns (und damit auch von den von uns eingesetzten Organen) oft nicht dieselbe Würde zuerkannt. Man hat manchmal den Eindruck, die Würde eines Menschen lässt sich vor allem an dessen Gehaltsstufe messen. Wenn es um die Würde eines Menschen geht, sind wir nur zu schnell bereit ein Urteil über ihn zu fällen, sobald die Wahrung seiner Würde für uns eine Last bedeutete.

Auch dass alle Macht vom Volke ausgeht, scheint zunehmend ein theoretisches Konstrukt zu werden. Die Macht geht von denen aus, die das Geld haben, denn Würde wird bei uns am Monatsende in harter Währung ausbezahlt.

Richtig wäre: Die Würde des Menschen steht über dem Geld. Es müsste das wichtigste Anliegen aller staatlicher Gewalt sein, dass die Würde des Einzelnen eben nicht von seinem Einkommen abhängt. Es müsste das wichtigste Anliegen aller staatlicher Gewalt sein, dass alle in würdiger Weise Teilhabe an Möglichkeiten dieses Landes haben. Wenn in einer realen Welt nun einmal Leistung zählt, müsste Leistung neu definiert werden. Leistung müsste sein, sich aktiv um Schutz und Achtung der Menschenwürde zu kümmern. Das sind Menschen, die in Bildung, Erziehung, Gesundheit und Pflege (alphabetisch sortiert!) arbeiten; unter den Begriff Erziehung fallen natürlich auch Eltern, auch wenn „Eltern“ kein anerkannter Beruf ist. Es ist egal, ob sich nun jemand darum kümmert, dass heranwachsende Menschen zu verantwortungsvoll handelnden und entscheidenden Erwachsenen werden, ob man sich darum kümmert, dass Menschen ihre körperliche und geistige Gesundheit bewahren oder wiederherstellen können oder ob Menschen ihren Lebensabend geachtet in der Mitte und nicht irgendwo am Rand der Gesellschaft verbringen können. Alle diese Menschen kämpfen täglich um die Wahrung der Menschenwürde, ein gewisser Teil sogar ehrenamtlich ohne Bezahlung. Wer darum in seinem täglichen Bemühen kämpft, der erbringt Leistung im Sinne der Gemeinschaft! Damit dies auch weiterhin möglich ist, müsste es auch oberste Aufgabe des Staates (also – man kann es nicht oft genug sagen – von uns allen) sein, dass niemand nach getaner Arbeit in die Altersarmut und somit ins Abseits abrutscht. Kurzum, wenn „Leistung sich lohnen soll“, dann müssen wir auf die wahre Leistung achten, jene Leistung, die Staat überhaupt erst möglich macht. Dass das Geld kostet und für jene, die mehr besitzen, als sie benötigen, auch Verzicht auf den ein oder anderen Luxus bedeutet, müsste selbstverständlich sein. Es ist einsehbar, dass in der Wirtschaft jene am besten bezahlt werden, die am meisten Geld erwirtschaften. Es ist Aufgabe des Staates, dies durch seine Handlungen und Entscheidungen im Sinne der Gemeinschaft anders zu regeln, nicht dieses die Würde in Geld (wer mehr Geld erwirtschaftet, hat mehr Recht auf Würde) auch noch zu fördern. So als Staat (als Gemeinschaft) zu denken und zu handeln, das wäre christlich!

Leider scheinen Menschen in dieser Welt aber nicht nach diesem Prinzip zu funktionieren. Nicht der Geist Gottes lenkt unser Handeln, sondern Egoismus. Wohltätigkeit ist oft nicht mehr als ein Feigenblatt, um das Gewissen zu beruhigen und sich sagen zu können, dass man doch ein guter Mensch sei. Unsere Verfassung sagt, dass die Bundesrepublik ein sozialer Staat sei – hier gehen wir aber zumeist eben nicht nach der richtigen Haltung dazu, sondern „pharisäisch“ nach dem Buchstaben vor.

Vielleicht funktioniert ein Staat nicht anders als so. Vielleicht sind Menschen einfach von Natur aus egoistisch (die Bibel nennt das böse), einzelne idealistische Kämpfer für die Wahrung der Menschenwürde ausgenommen.

Sich damit abfinden oder es gar gut finden, ist für Christen unmöglich.

Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer Verfassung, dem Grundgesetz, seit 75 Jahren für die Christen, die hier leben ein ausgezeichneter Ort, für das Reich Gottes zu üben. Und der Segen, den Gott reichlich über dieses Land ausgeschüttet hat und nach wie vor ausschüttet, gäbe uns auch alle nötigen irdischen Mittel dazu.

Wenn wir nur wollten!