„Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, doch ihr Herz ist fern von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, weil sie Lehren vortragen, die Menschengebote sind.“ (Jes 29,13)
Jesus hadert mal wieder mit der Art, wie die Pharisäer mit dem Gesetz umgehen. Rund um die Reinheit, die Gott von den Menschen im Glauben fordert, haben sich über die Jahrhunderte Regeln und Traditionen entwickelt. Es ist ja klar, wie sowas geschieht: Gott sagt: „Achtet, dass ihr rein vor mir seid. Meidet alles Unreine.“ Soweit so gut. Es dauert aber nicht lange, bis ein Eiferer meint, es besser als die anderen zu wissen und dann beginnt er zu lehren, was Reinheit ist, setzt weitere Regeln auf, wie Reinheit herzustellen sei. Bald darauf findet sich aber schon wieder jemand, der es noch besser machen möchte, also verfeinert er die Regeln seines Vorgängers usw.
Nach einiger Zeit nützt es den Gläubigen gar nichts mehr, wenn sie das Wort Gottes studieren, denn im so entstandenen Volksglauben ist es nicht das Wort, sondern der Leitfaden dazu, der den Glauben definiert. Aus Glauben wurde ein Abarbeiten immer gleicher Rituale; nicht mehr der Sinn dahinter ist entscheidend – der wird dann auch oft gar nicht mehr gekannt oder beachtet – die im Leitfaden beschriebenen äußeren Handlungen bestimmen nun das „Glaubensleben“.
Wieder einmal nimmt Jesus die ihm und seinen Aposteln entgegen gebrachte Kritik zum Anlass, die Pharisäer über ihr falsches Glaubensverständnis aufzuklären. Am Beispiel der von ihnen hier genannten Reinheitsrituale erklärt er ihnen, was Gott mit Reinheit meint und was sie daraus gemacht haben.
Gott möchte von den Menschen, dass sie sich in ihrem Glaubensleben vor Unreinheit, d.h., vor schädlichen weltlichen Einflüssen schützen. Er hat dabei einige äußerlich sichtbaren Regeln aufgestellt, es geht ihm aber vor allem darum, dass die Menschen in diesen Übungen ihren Geist befreien, „reinigen“, ehe sie vor ihn treten. Die äußere Handlung ist ein Symbol für den inneren Wandel. Das Symbol selbst hat keine reinigende Wirkung, wenn mit der Handlung keine Haltungsänderung eintritt.
Jesus macht die Pharisäer darauf aufmerksam, dass sie durch die Dinge, die sie sagen, ihre innere Haltung offenbaren und diese zeigt: Sie könnten sich vor dem Essen „abkärchern“ und würden doch unrein bleiben.
Ich kann mich noch an viele Rituale aus der Kindheit erinnern, die vor und während des Gottesdienstbesuches einzuhalten waren, damit man ordnungsgemäß am Gottesdienst teilnahm und zum Empfang der Heiligen Kommunion berechtigt war. Keine dieser Rituale garantierte die innere Haltung, mit der man in einen Gottesdienst gehen sollte – Du begegnest deinem himmlischen Vater, von dem du alles erhalten hast, was du bist!, das sei dir bewusst in jedem Schritt, den du tust und in jedem Wort, das du sagst – es waren alles äußere Handlungen. Es sind aber genau diese Rituale, die bis heute dazu führen, dass Menschen mit schlechtem Gewissen vor Gott treten, mit der Überzeugung, nicht gut genug zu sein, anstatt mit dem Glauben daran, dass dieser ihnen vergibt und sie liebt. Anstatt mit ihm das Hochzeitsmahl zu feiern, beobachten sie die Szene nur vom Rand. „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich.“ (Mt 23,13)
Ich lese auch immer wieder auf Facebook den Wunsch einiger Gläubiger, eine „originale Eucharistiefeier“ zu erleben. Die Schreiber meinen damit eine heilige Messe, natürlich komplett in Latein gehalten und mit pflichtmäßig erteilter Mundkommunion. Ich möchte diese Menschen immer fragen, ob sie denn noch zufällig ein altes Manuskript vom letzten Abendmahl zur Hand hätten und auch selbst gut genug in Alt-Aramäisch wären um die originalen Worte Jesu standesgemäß vortragen zu können. Dass Jesus seinen Jüngern das Brot in den Mund gelegt hat, wage ich dennoch zu bezweifeln.
Jesus ist angetreten, all diese alten Zöpfe abzuschneiden, damit der Blick wieder frei wird auf die Verheißungen Gottes. Die letzten 2000 Jahre haben deutlich gemacht, was von vorneherein klar war: Haare wachsen nach und daraus werden neue Zöpfe geflochten … die dann wieder alt werden.