Lob und Mahnung – 2. Thessalonicher (16. – 22. November)

Kurze Zeit nach dem ersten schieb Paulus schon diesen zweiten Brief an die Thessalonicher. Wieder beginnt er mit Lob und Ermutigung, wurde ihm doch berichtet wie tapfer und beharrlich sie trotz aller Bedrängnisse am Evangelium festhalten.

Doch auch Besorgnis schwingt mit; offensichtlich sind einige Fanatiker und Irrlehrer in der Gemeinde aktiv, behaupten sogar, im Auftrag des Pauls aufzutreten oder dass die augenblicklichen Bedrängnisse Zeichen dafür seien, dass der Tag des Herrn – also das Jüngste Gericht – bereits begonnen hätte.

Im ersten Brief hatte Paulus schon einmal verdeutlicht, dass die Zeichen dafür nicht irgendwelche äußeren Ereignisse seien, sondern dann der Glaube der Gemeinde als solches angegriffen werde und die Schwachen von dieser Verführung mitgerissen würden. Der Tag des Herrn beginnt also mit dem Ende der Kirche auf dieser Welt, einer Zeit, in der sich der gläubige Überrest an Gott und aneinander festhalten muss, weil es mächtige und glaubhafte Irrlehrer geben wird, die das Wort Gottes kennen aber verdrehen. Das Gericht selbst käme erst danach, aber dann habe Gott den gläubigen Überrest bereits zu sich geholt.

Darum ermahnt Paulus die Gemeinde standhaft im Glauben zu bleiben und darin zu wachsen, indem sie nach dem von ihm vorgelebten Vorbild leben: fleißig, hilfsbereit, mitfühlend. Und hier ersteigt er sich dann auch zu dem Urteil:

„Denn als wir bei euch waren, geboten wir euch dies: Wenn jemand nicht arbeiten will, so soll er auch nicht essen!” (2Thes 3,10)

Wer dieser Regel nicht gehorche, der solle aus der Teilhabe der Gemeinde ausgeschlossen werden, jedoch nicht als Feind sondern zum Zwecke der Erziehung.

 

Der Brief besteht also im Wesentlichen aus drei Elementen: Lob und Ermutigung, Erläuterung und Wiederholung, Ermahnung zur Mitwirkung.

Dass das Gericht Gottes bereits angefangen habe, ist seit 2000 Jahren die Botschaft religiöser Eiferer und sie haben Erfolg mit dieser Irrlehre. Ein verlässliches Zeichen, dass das Evangelium Christi ins Herz eines Menschen vorgedrungen ist, ist seine tätige Nächstenliebe. Ohne diese, ohne Liebe zum Menschen, wie Gott uns liebt, sehen wir nur all die Dinge, die nicht gut laufen. Krankheit, Elend, Scheitern, Zerstörung, Kriege – ohne Liebe ist das alles, was der Mensch auf dieser Welt erlebt; die schönen Momente sind die Ausnahme. Für Menschen ohne Liebe zum Nächsten ist damit das angekündigte Gericht das eigentliche Evangelium. Soll Gott doch einfach alles zu Ende bringen, die Menschheit ist verdorben und nicht zu retten!

Doch das ist nicht das Evangelium unseres Herrn!

„Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern damit ich die Welt rette.” (Joh 12, 47)

Das ist sein Evangelium!

Wenn man die Gedanken und Erläuterungen des Paulus in den beiden Briefen zum Thema Gericht etwas tiefer betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass in den Zeiten des genannten „Abfalls” vom Glauben in der Kirche genau diese Botschaft in den Gemeinden gewinnen wird: Das Gericht ist schon im Gange.

Die offizielle Kirche wird dann eine andere Kirche sein, eine Kirche der Extreme: große Frömmigkeit wird einhergehen mit einer großen Zahl selbsternannter Richter, die im Namen Gottes Urteile über die „Ungläubigen” aussprechen. Auch diese sieht man freilich heute schon, doch dann werden es nicht mehr Fanatiker und Sekten sein, dann wird dies das Wesen der offiziellen Kirche(n) an sich sein – weltweit. Der gläubige Überrest wird seinen tätigen Glauben nicht mehr öffentlich zeigen (können) und es wird geschehen, was Jesus angekündigt hat: Das Evangelium wird von den Kanzeln nicht mehr verkündet werden, sehr wohl aber die Evangelien, die dann allerdings anders, z.B. als Aufruf zur Reinigung der Welt von allen Ungläubigen, verstanden werden. Dies ist nicht zu weit hergeholt! Die Kirche war bereits einmal in diesem Zustand (Inquisition, Hexenverbrennungen), doch das Evangelium war zu dieser Zeit nur im kaukasischen Raum verbreitet und noch nicht aller Welt verkündet. Diese Art von Glauben spielt im Moment nur eine untergeordnete, geächtete Rolle, doch er ist nicht aus der Welt!

Um es klar zu sagen: Wenn das Ende beginnt, werden es die meisten nicht mitbekommen, weil sie – untüchtig im Glauben – die schleichende Änderung gar nicht bemerken und die es mitbekommen, werden es nicht von den Dächern rufen, weil sie wissen, dass ihnen niemand zuhören wird.

Darum ist so wichtig, was Paulus hier fordert: Arbeitet mit in der Gemeinde, denn das stärkt euren Glauben in Zeiten der Verführung! Auch wenn wir vermutlich nicht die letzte Generation sind, so machen doch die letzten Kapitel in den gerade bearbeiteten Büchern der Könige deutlich, dass Kontinuität nötig ist. Ein Nachlassen wirkt sich immer auf viele nachfolgende Generationen aus. Und arbeiten heißt auch arbeiten. Es gibt für jeden etwas zu tun – gemäß seiner Gaben und Begabungen.

Und was ist jetzt mit diesem Satz „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.”?

Ich habe bereits dargelegt, dass dieser Satz unvereinbar mit der Bergpredigt ist.

Doch da steht ja noch was davor: „Denn als wir bei euch waren, geboten wir euch dies”. Dieser Satz ist also abgeleitet aus einem konkreten Zusammenhang, einem Zusammenhang, der nicht aus diesem Brief zu entnehmen ist, der uns also unbekannt ist; es ist weniger ein Gebot als eine aus dem praktischen Leben dieser Gemeinde knapp zusammengefasste Faustregel. Jeder, der den Satz las oder hörte, konnte ihn – anders als wir heute – mit dieser Situation in Verbindung bringen und richtig einordnen. Weil uns dieses Hintergrundwissen fehlt, ist das für uns ein gefährlicher Satz, der mit Vorsicht zu genießen ist. Offensichtlich, so lässt der darauf folgende Satz vermuten, geht es um Teilhabe in und aus der Gemeinde, und aus dieser Teilhabe sollen Menschen solange ausgeschlossen werden, solange sie sich nicht einbringen. Mit dem Bild, das wir von der allerersten Gemeinde in Jerusalem bekommen (Apostelgeschichte), erkennen wir, dass Gemeinde in jener Zeit eine Lebensgemeinschaft war, die alles miteinander teilte. Dafür erhielt jeder in der Gemeinde das, was er zum Leben benötigte. Vermutlich musste er darum auch nicht bitten oder aufwändige Anträge stellen. Er wusste, was er brauchte und nahm auch nicht mehr als das, und die anderen konnten darauf vertrauen, dass er nicht mehr nahm, als er brauchte. Es war einfach selbstverständlich und alle hatten einen unmittelbaren Nutzen von dieser Handhabe von gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Verantwortung.

Wenn sich nun aber jemand dieser Gemeinschaft entzog, indem er sich nicht einbrachte, wenn er die Großzügigkeit der anderen als deren Christenpflicht ansah, auf die er ein Recht hatte, dann musste man ihm dieses Recht entziehen. Die moderne Psychologie beweist, ein System auf Gegenseitigkeit funktioniert nur solange, solange alle in gleicher Weise Verantwortung übernehmen; es bricht zusammen, sobald der erste das System ausnutzt.

Dass Gott aber mindestens genauso die Verweigerung von Unterstützung durch jene, die mehr haben als sie benötigen, verurteilt, macht die Apostelgeschichte bei einem „Mann namens Hananias" (Apg 5, 1-11) deutlich.

Natürlich gibt es diese Form von christlicher Lebensgemeinschaft heute im praktischen Leben nicht mehr, nicht in den Kirchengemeinden, erst recht nicht in den weltlichen, schon gar nicht auf nationaler oder internationaler Ebene.

Doch diesem Spagat zwischen christlicher Nächstenliebe, die nicht urteilt und der harten Realität müssen wir uns als Christen trotzdem stets bewusst sein und täglich stellen: Es ist nicht an uns zu urteilen, ob ein Mensch unsere Hilfe benötigt, weil er sich nicht genug anstrengt (oder sogar, was Paulus hier sagt: er überhaupt nichts tut), was ihn dann nach (schlampiger) Ableitung dieser Faustregel von unserer Hilfe ausschlösse, oder weil ihm seine Lebensumstände größere Hindernisse in den Weg stellen, als er aus eigener Kraft überwinden kann. Anders als die damalige, sehr überschaubare Gemeinschaft haben wir auch keinen genauen Überblick über die Situation des Einzelnen und Möglichkeiten, die ihm die Gemeinschaft konkret in einer für ihn nutzbaren Form bot.

Insofern, lieber Paulus, es ist schade, dass du dich hier so kurz gehalten und uns nicht den genauen Zusammenhang erläutert hast, den es ja offensichtlich gibt. Aber du hast ja damals auch an die Thessalonicher geschrieben und nicht an uns, die wir 2000 Jahre nach dir leben. Da du nicht wissen konntest, welche zentrale Rolle du einmal für die christliche Weltkirche haben würdest, sollten sich das vielleicht jene umso bewusster machen, die deine Lehre – und du hast dich sicher auch nicht als Lehrer gesehen, denn Christus ist der Lehrer, sondern als Erzieher – für ihre Meinungen und Vorurteile heranziehen – hier und auch an anderen Stellen deiner Briefe.

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