Kapitel 20 ist im Grunde schnell erzählt. Hiskia wird schwer krank und Gott lässt ihm durch Jesaja ausrichten, dass er nun sterben wird. Das trifft ihn hart, darauf ist er nicht vorbereitet. Er weint und bittet Gott um einen Aufschub. Gott erfüllt ihm den Wunsch umgehend. Jesaja kommt nochmal zurück und sagt ihm, er werde binnen drei Tagen genesen und dann noch einmal weitere 15 Jahre leben, das sei der Wille Gottes. Als Beweis für die gewährte Bitte bewegt sich die Sonnenuhr im Palast gemäß seinem Wunsch um zehn Stunden rückwärts.
Einige Zeit später erhält Hiskia Besuch von Abgesandten des neuen aufstrebenden Reichs Babel, das bald Assyrien ablösen wird. Die sind wohl neugierig, wie Hiskia als einziger dem Assyrischen Heer Paroli bieten konnte. Redselig führt Hiskia die vermeintlichen neuen Freunde in seinem Palast umher und zeigt ihnen alle seine Reichtümer. Als sie gegangen sind, klärt ihn Jesaja auf, dass dies eine riesige Dummheit war. Die Babylonier werden nach seinem Tod Juda zerschlagen und die Reichtümer und Nachfahren Hiskias als Palastdiener nach Babylon verschleppen, so werde Gott seine gottlose Prahlerei bestrafen. Hiskia nimmt das Urteil ohne Klage an, da es – wie er betont – ihn ja nicht mehr betreffe.
Wir hatten es im letzten Kapitel von Vertrauen und Glauben. Auch in dieser großen, persönlichen Not wendet sich Hiskia an seinen Gott, sein Vertrauen ist allerdings nicht bedingungslos, er will Beweise für Gottes Wirken, damit er wieder ruhig schlafen kann. Und er bekommt sie. Wir hatten es auch davon, Glaube ist Voraussetzung dafür, das Wirken Gottes überhaupt als solches wahrnehmen zu können. Doch ganz offensichtlich hat Gott überhaupt nichts dagegen, wenn wir ihn von Zeit zu Zeit auch mal auf die Probe stellen. Vielleicht werden wir es dann nicht erleben, dass eine Uhr plötzlich gegen die Gesetze von Natur und Technik rückwärts läuft, mit dem entsprechenden Maß an Glaube werden wir aber die Feinheiten seines Wirkens erkennen. Was für Menschen ohne Glauben ein Zufall oder eine ganze Ansammlung von Zufällen oder auch einfach nur eine ungewöhnliche aber nicht unmögliche Abfolge naturwissenschaftlich erklärbarer Ereignisse darstellt, darin erkennt der Gläubige das Wirken Gottes. Für den Gläubigen wie den Ungläubigen ist der Zufall ein wissenschaftlich erklärbares Phänomen, das wir mit dem heutigen Stand der Technik (und vielleicht auch in Zukunft) nicht erklären können und unterscheidet sich somit nicht von den erklärbaren. Dass wir die Gesetze dahinter nicht erkennen, ändert nichts daran, dass auch beim Zufall nur Naturgesetze angewandt werden.
Nur für den Gläubigen sind diese Gesetze – wie alles andere auch – von Gott gemacht und nichts hindert ihn daran, sie zu nutzen, um sich seinen Kindern zu zeigen.
Eine solche Offenbarung seines Gottes wahrzunehmen ist äußerst erbaulich, kann aber auch zu Übermut führen. Kein König, kein Staatsoberhaupt wird jemals einem Fremden beim ersten Besuch alle Staatsgeheimnisse offenbart haben. Hiskia tut das. Was er nicht tut, aber besser getan hätte, ist, den Fremden zu erklären, dass er nicht mit all diesen Dingen den Feind besiegte, sondern mit der Macht Gottes. Hätte er ihnen seinen Gott und nicht die (seiner Meinung überbordende) Stärke seines winzigen Reiches offenbart, dann wären sie mit mehr Fragen zu ihrem König zurückgekommen, als sie davor von ihm losgezogen waren. Denn anders als Hiskia kannten sie diesen Gott nicht, nur ihre Götter – und nachdem dieser Gott schon mit den Göttern Assyriens kurzen Prozess gemacht hatte, hätte man es sich vielleicht zweimal überlegt, dort einzumarschieren, denn die Kraft dieses kleinen Volkes war offensichtlich nicht auf dem Geschick eines grandiosen Heerführers auf dem Thron gegründet.
Dass Hiskia mit dieser wirklich großen Geste seines Gottes nicht umgehen konnte, zeigt auch seine Reaktion auf das nachfolgende Gottesurteil. Es bekümmert ihn nicht, denn es betrifft ihn ja nicht persönlich. Das ist ein schwerer Fehler!
Wir hatten es hier auch schon davon, dass wir immer – auch dann, wenn wir uns allein und verlassen fühlen – auf jemanden zugehen. So ging zum Beispiel der Prophet Elia auf seinen Nachfolger Elisa zu. Das heißt aber auch, unser Wirken ist niemals nur für uns allein; es ist immer darauf ausgerichtet, dass es von jemandem übernommen und fortgeführt wird, wenn Gott bestimmt, dass es an der Zeit dafür ist.
Jesus beschreibt Gott im Gleichnis mit den anvertrauten Talenten als einen strengen Mann, der erntet, was er nicht sät (Lk 19, 11-27). Auf uns als Erben trifft das in gewissem Sinne auch zu. Wir ernten in seinem Namen, was andere vor uns gesät haben, aber wir säen auch in seinem Namen, was andere nach uns ernten werden (Lk 8, 4-15)!
Wir tragen daher nicht nur Verantwortung für unser Leben und unsere Entscheidungen, sondern auch dafür, dass jene, die nach uns kommen, damit umgehen können. Wir werden im nächsten Kapitel lesen, dass es der Sohn Hiskias als König schlimmer in Juda treibt als jeder seiner Vorgänger. Dies ist auch die Frucht der Nachlässigkeit seines Vaters, den es nicht interessierte, wer nach ihm den Stab übernehmen wird.
Wir stehen heute ganz praktisch auf vielen Ebenen vor exakt diesem Problem! Wir werden unseren Kinder, Enkeln und Urenkeln eine Welt hinterlassen, die nicht mehr die Freiheiten bietet, die wir einst genossen. Die Natur kämpft mit immer härteren Bandagen gegen die Folgen unseres Handelns. Das kümmert uns jedoch nur, solange es uns nicht persönlich belastet und einschränkt. Darüber hinaus soll das mal der technische Fortschritt regeln, d.h., wir legen die Verantwortung für unsere Probleme in die Hände derer, die auf uns zugehen. Ähnlich düster sieht es mit Freiheit und Frieden aus. Wenn wir ehrlich sind, ist heute der Wille zum Frieden kleiner, als in Zeiten der Hochrüstung. Ja, sicher, keiner will den Krieg! Doch was sind wir bereit, für den Frieden zu tun? Der Preis für Frieden wird bezahlt in gegenseitigem Respekt, Toleranz, Gerechtigkeit (für alle Menschen, nicht nur das eigene Volk), persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und -chancen (ebenfalls für alle) – kurzum: Der Preis für Frieden wird mit der Bereitschaft zur Rücksicht auf Belange der anderen und damit der freiwilligen Einschränkung persönlicher Freiheiten (für die Anführer auch: persönlichen Machtstrebens) bezahlt. Die Feinde des Friedens, das hat uns die Geschichte gelehrt, heißen Nationalismus und jegliche Form von (nationalem) Egoismus. Genau darum hat Gott uns gelehrt, dass sein Volk nicht national sondern global ist, dass es nicht gegeneinander sondern füreinander handeln soll. Wir alle, Juden, Christen, Moslems, sogar die Menschen ganz anderen Glaubens, hängen an derselben Wurzel! Die Bibel ist in ihren Ursprüngen über 3000 Jahre alt und wird so lange schon von Menschen gelesen und verkündet. Andere, teilweise ältere, auch neuere, teils atheistische Religions- und Wertesysteme, sehen und bewerten die Welt und die Menschheit genauso! Es ist erschreckend zu sehen, dass wir diese zentrale, über alle Kulturen hinweg gültige Erkenntnis bis heute nicht begriffen haben!