Psalm 105 + 106 (26. – 30. Oktober)

Die letzten beiden Psalmen des vierten Buches machen deutlich in welcher Zeit das Buch entstand, das bei den Juden Talmud und bei den Christen Altes Testament genannt wird: Der Buchdruck war noch nicht erfunden, die Schriftrollen wurden noch handschriftlich vervielfältigt und waren daher nicht nur aufgrund des darin verkündeten Inhaltes kostbar.

Einen vollständigen Satz der vorhandenen Schriften gab es vermutlich nur im Tempel, beim König und einigen reichen Bürgern des Landes. Selbst für die örtlichen Synagogen auf dem Land dürfte es schwierige gewesen sein, ständig alle Schriften verfügbar zu haben.

Was macht also eine bäuerliche Familie, wenn der Familienvorstand bei hohen religiösen Festen die Geschichte der Israeliten vorlesen möchte, um dem Vortrag auch das nötige Gewicht zu geben? Er besorgt sich im Tempel die Kurzfassung. In den Psalmen 105 und 106 ist die ganze Geschichte der Israeliten von Abraham bis zur Wüstenwanderung ins Gelobte Land (Psalm 105) und von der Wüstenwanderung bis zur Zerschlagung des Landes durch die Assyrer und Babylonier (Psalm 106) wiedergegeben.

Damit ist auch klar, dass die beiden Psalmen vermutlich zu unterschiedlichen Zeiten verfasst wurden; Psalm 105 könnte zur Zeit der Richter oder König Davids verfasst worden sein, Psalm 106 zur Zeit Nehemias. Der Schreiber des Psalms 106 dürfte Psalm 105 bereits gekannt und ganz bewusst als Fortsetzung – Psalm 105 endet mit einem „Halleluja“, Psalm 106 beginnt damit – geschrieben haben.

Ich kann mir gut vorstellen, wie jüdische Familien bei ihrer jährlichen Pilgerschaft nach Jerusalem zum Passah Fest gegen eine geringe Spende die Abschrift dieser beiden Psalmen für zu Hause erstanden haben und glückselig von dannen zogen.

Die Kenntnis dieser beiden Schriften versetzt den Leser oder Zuhörer in den Stand eines Eingeweihten. Er erfährt, dass sich Menschen nur deshalb zu Gott bekannt haben und bekennen, weil Gott sich ihnen zuerst offenbart hat. Der Ursprung allen Glaubens ist also nicht die bewusste Entscheidung des Menschen, an ein höheres Wesen zu glauben, sondern die bewusste Entscheidung Gottes, den Menschen zu rufen, sobald dieser bereit ist, seinen Ruf zu hören und ihn anzunehmen.

Gott wendet sich den Menschen zu und segnet sie, sobald sie seine Zuwendung erkennen und erwidern. Die Psalmisten sind ehrlich genug, auch darzustellen, dass dieses erwählte Volk immer wieder versagt und den Bund zerstört hat. Sie schreiben auch von der Geduld und Langmut Gottes und von seiner Bereitschaft sich seiner Kinder zu erbarmen, wann immer sie ihre Fehler bereuten und von ihrem falschen Weg umkehrten.

Dies zeigt uns: Ja, Gott wird Richter sein am Jüngsten Tag. In der Zwischenzeit hat er sich aber auf die Rolle des Retters festgelegt. Er rettete sein Volk, wann immer es aufrichtig nach ihm rief, er rettet die ganze Menschheit – seine Kinder, der Same Abrahams – durch die Aussendung des Gesalbten, Sohn Gottes genannt, er versammelt die Geretteten hinter diesem Christus und erst wenn diese Arbeit vollendet ist, wird die verlorene Welt gerichtet werden. Gott wird keine der von ihm gerufenen Seelen verloren gehen, er wird sie alle heimholen.

Aber sein Segen besteht eben nicht nur aus gnadenreichen Zuwendungen, die das Herz erfreuen, sondern auch darin, uns die Früchte unserer Verfehlungen schmecken zu lassen. Dabei trifft es nicht immer ausschließlich diejenigen, die das Unglück maßgeblich verursacht haben!  Auch im alten Israel hat ein egoistischer, herrschsüchtiger König das ganze Volk mit ins Verderben gerissen. Gott denkt nicht wie wir Menschen in den Kategorien „Schuldig“ und „Unschuldig“ – nach dieser Einteilung wären wir alle schuldig. Er teilt unsere Handlungen in „Richtig“ und „Falsch“ ein. Nach einigen Jahrtausenden menschlicher Entwicklung dürfte dem Letzten klar sein: Falsche Handlungen führen immer zu weitreichenden, unerwünschten Ergebnissen. Der Segen, den Gott uns dann zu Teil werden lässt, besteht darin, dass wir die unerwünschten Ergebnisse zu sehen bekommen. Zu spüren bekommen sie oft auch andere. Gott dann aufzufordern einzuschreiten ohne zuerst das eigene Verhalten zu korrigieren ist unaufrichtig. Gottes Existenz und Macht in dieser Situation zu verleugnen und anderen Götter (Kapitalismus, Nationalismus, Egoismus und viele andere „-ismen“) anzubeten demonstriert geradezu die Nichtbereitschaft zur Einsicht und Umkehr. Im Altertum verbargen sich diese „-ismen“ in den in den Psalmen genannten heidnischen Gottheiten und Religionen. Das hat – wie die anderen Bücher der Bibel ausführlich beschreiben – zu keinem Zeitpunkt funktioniert, es wird auch heute und in Zukunft nicht funktionieren.

Gott segnet seine Kinder unaufhörlich auf vielfältige Weise – mancher Segen ist schön und erfreulich, anderer betrübt, bestürzt oder ist sogar schmerzhaft. Segensreich wird dieser Segen aber nur, wenn wir ihn in der richtigen Weise annehmen und angemessen handeln, sonst machen wir ihn uns selbst zum Fluch. Dieses Leben ist uns eine Pilgerschaft, ein Lehrpfad. Aus einer Entscheidung und der daraus gemachten Erfahrung eine Lehre zu ziehen, ist oft nicht angenehm. Aber nur, wenn wir bereit sind, unaufhörlich zu lernen (und „lernen“ ist eine objektiv feststellbare Verbesserung der augenblicklichen, persönlichen Reife; das Lernen erfasst immer Verstand und Herz! Alles andere ist nur nutzlose, oftmals gefährliche Mehrung des Wissens.), werden wir das Glück, das in den Segnungen Gottes liegt, erkennen und erfahren.

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