Die Wechselhaftigkeit des Weges und die Unveränderlichkeit Gottes

Glaube ist Leben und Leben ist Veränderung. Christus bezeichnet sich als der Weg, nicht nur weil er der einzige Weg zu Gott und damit zum wahren Leben ist, sondern weil der Weg sinnbildlich für die ständige Veränderung steht.

Wie passt das mit der Unveränderlichkeit Gottes und der Unveränderlichkeit seines Wortes zusammen?

Wenn wir auf einem Weg entlang gehen, so verändert sich die Landschaft um uns herum ständig, obwohl der Weg immer derselbe bleibt. Obwohl also Christus, der Weg und das Wort Gottes unverändert bleiben, verändert sich unaufhörlich die Art wie wir ihn – anhand der beobachteten Umgebung – wahrnehmen. Es muss uns immer bewusst sein, die Veränderung, die wir wahrnehmen, ist begründet in unserem Voranschreiten.

Anderes Beispiel: Wenn ich unser Kirchengebäude von Süden her betrachte, so sehe ich etwas anderes, als wenn ich es von Westen kommend betrachte – und doch ist es immer dasselbe Gebäude!

So verhält es sich auch mit Gott. Er ist immer derselbe, aber wir bewegen uns heute von einem anderen Ausgangspunkt des Weges auf Gott zu als die Gläubigen vor einhundert, zweihundert oder tausend Jahren. Es ist gar nicht zu verhindern, dass wir etwas anderes sehen als unsere Vorfahren! Das ist die Eigenschaft des Lebens auf dieser veränderlichen Welt.

Das müssen wir bei der Reform unserer Kirche beachten. Was unsere Vorfahren in Sachen Tradition und Ordnung in den kirchlichen Strukturen festgelegt haben, erschien aus deren Blickwinkel absolut richtig und vermutlich war es das auch. Doch wir sind inzwischen weiter gegangen. Wir haben – und das ist ganz offensichtlich von Gott so gewollt – heute einen anderen Blickwinkel auf ihn und auf sein Wort.

Zu allen Zeiten gab es (verschiedene) Auslegungen des Wortes, doch die Auslegungen waren Auslegungen ihrer Zeit, und die Schlussfolgerungen, aus denen sich Tradition und Kirchenrecht entwickelt haben, waren Entwicklungen ihrer Zeit. Wenn sich der Blickwinkel auf die Wahrheit Gottes ändert, kommt man zwangläufig zu anderen Auslegungen – ohne, dass sich dadurch die Wahrheit ändern würde. Wir blicken heute einfach von Westen, statt von Süden drauf. Wenn sich aber die Auslegung ständig ändert, dann müssen auch die Schlussfolgerungen ständig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Das entspricht dem Versprechen der Bischöfe treu zur Kirchenlehre zu sein. Treue bedeutet, die ganze Kraft dazu einzusetzen, diese Kirche mit all ihren (notwendigen) Regelungen mit Leben zu erfüllen. Und Leben ist Veränderung!

Insofern ist es auch nützlich und gut, Kenntnis darüber zu haben, wie unsere Vorfahren Glaube und Kirche verstanden haben. Denn um voranschreiten zu können, müssen wir wissen, woher wir kommen. Die Lehren der Vorfahren können aber nicht mehr unsere Gegenwart, viel weniger noch unsere Zukunft sein, denn dazu müssten wir zurücklaufen – der lebendige Gott schickt uns aber vorwärts.

Vor uns liegen aber allein Gott und sein Wort, ein lebendiges Wort das zu den Menschen jeder Zeit in deren Sprache und Verständnis spricht. Ein Wort, das von jeder Generation neu entdeckt und verstanden (ausgelegt) werden möchte.

Wer unter Treue zur Kirchenlehre versteht, dass sich nichts ändern darf, dass nichts hinterfragt werden darf, was Jahrhunderte über Gültigkeit besaß, der ist stehen geblieben, der betet einen toten Gott an.

Unser Glaube sagt uns aber, dass wir den lebendigen Gott anbeten sollen, den Gott des Lebens, den Gott der Veränderung. Das ist unser Weg!